Rettungseinsatz in Marokko : Und wieder 72 Stunden
Nicolas Hefner, Sprecher des THW Deutschland, über die entscheidenden 4.320 Minuten nach einem Erdbeben. Sie laufen heute ab.
taz: Herr Hefner, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, zum jetzigen Zeitpunkt noch Überlebende zu finden?
Nicolas Hefner: Sie ist gering, aber Erdbebeneinsätze in der Vergangenheit haben gezeigt, dass es immer wieder Wunder gibt.
Die Chance besteht also, nach Abschluss der Rettungsarbeiten gefunden zu werden?
Experten gehen davon aus, dass ein Mensch bis zu 72 Stunden unter Trümmern überleben kann. Danach sinken die Chancen rapide. Damit ein Mensch auch nach 120 Stunden oder noch später gerettet werden kann, müssen die Umstände ideal sein.
Nach 72 Stunden werden die Rettungsarbeiten eingestellt?
Bei großen Schäden mit sehr kleinen Trümmerteilen passiert das schon. Dann muss man einfach sagen: Wir haben keine Hoffnung mehr. Man reagiert aber immer noch auf Zeichen aus der Bevölkerung.
Muss man also hoffen, dass Freunde und Bekannte weitergraben?
Ich denke, dass man sich an irgendeinen Strohhalm klammern muss. Man hofft doch immer, gerettet zu werden. Ob das jetzt aus Profihand oder durch Bekannte ist, ist dem Betroffen wohl egal.
Wie errechnet sich die 72-Stunden-Frist?
Im Allgemeinen geht man davon aus, dass Menschen drei Tage ohne Wasser auskommen. Dann beginnt der Körper so stark zu dehydrieren, dass es irgendwann keine Überlebenschancen mehr gibt.
Sind die Retter in diesen ersten drei Tagen im Dauereinsatz?
Auf jeden Fall. Sobald die Retter vor Ort eintreffen, wird mit der Arbeit begonnen und auch erst aufgehört, wenn keine Hoffnung mehr besteht.
Passiert es, dass Retter 72 Stunden am Stück arbeiten?
Nein, man muss natürlich auch an die Gesundheit der Retter denken. Es wird im Schichtsystem gearbeitet. Und die Rettungshunde brauchen ja auch ihre Ruhephasen.
Wie stark kratzt ein solcher Einsatz an der Psyche der Retter?
Solch ein Einsatz ist natürlich eine immense Belastung. Die Retter werden aus ihrem Alltag gerissen und dann direkt in das Einsatzgebiet gebracht. Dort sehen sie eigentlich nur Verwüstung und Trümmer und werden sehr unverblümt mit dem Tod konfrontiert.INTERVIEW: CHRISTIAN FISCHER