Radrennstall-Chef Holczer über Doping bei der Tour: "Ricco ist nicht der Super-GAU"

Radrennstall-Teamchef Hans-Michael Holczer über den neuesten Doping-Fall der Tour de France, das Misstrauen gegenüber den eigenen Fahrern und die Zukunft des Radsports.

Reinigungsprozess? Bild: reuters

taz: Herr Holczer, heute wurde der dritte Dopinfall der Tor bekannt. Ist die Tour der Erneuerung gescheitert?

Hans-Michael Holczer: Nein, das ist noch nicht der Super-GAU, das gehört zur Reinigung des Radsports. Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir hier bei der Tour nicht mit einem Dopingfall auskommen. Die französiche Anti-Doping-Agentur AFLD macht ihren Job mit der Penetranz, die hier notwendig ist.

Diese Dopingfälle sind also als Fortschritte zu bewerten?

Die grundsätzliche Frage, die sich hier stellt, ist doch: Welche Chance gibt man dem Radsport? Man kann uns natürlich auch keine geben. Im Vorfeld der Tour wurde gemutmaßt, dass die Franzosen mit ihren eigenen Dopingkontrollen das nationale Monument Tour de France nicht beschädigen werden. Und jetzt gibt es drei Dopingfälle. Und dann sagt man wieder, es hat sich nichts geändert. Die Wahrheit liegt wie so häufig im Leben in der Mitte. Wir brauchen einen gewissen Druck von den Medien, sie müssen aber auch dazu bereit sein, anzuerkennen, dass sich etwas geändert hat. Dieses Geiern auf einen Beweis, dass sich nichts geändert hat, ist aus meiner Sicht zu einfach.

Macht Sie das zornig?

Dass die Medien daran schuld sind, dass ich keinen Sponsor finde, werden Sie von mir nicht hören. Es ist nur einfach ein Fakt, dass es in Deutschland wegen der Berichterstattung für mich schwerer ist, als es beispielsweise am Standort USA wäre.

Was ist der Grund dafür, dass es in Deutschland anders läuft als in anderen Ländern?

Der Ursprung ist das, was über all die Jahre von der Mannschaft mit dem großen T veranstaltet wurde. Das sitzt immer noch tief. Der Kern ist eine tiefe Gekränktheit, belogen worden zu sein.

Haben Sie Verständnis für den mittlerweile üblichen Verdachtsjournalismus?

Es gibt ja Gründe für diesen Verdacht. Sie haben als Journalisten doch genau das gleiche Problem wie ich auch. Sie müssen beruflich beurteilen, ob das, was Sie hier sehen, Beschiss ist oder nicht. Ich muss auch versuchen, das zu beurteilen, und daraus eine Entscheidung treffen, die da lautet: Der Fahrer X kommt für mich in Frage oder nicht.

Also bewegen wir uns alle in der gleichen Grauzone?

Grauzone ist genau das richtige Wort. Nur was ich nicht verstehe, ist, dass man es nicht schafft zu differenzieren.

Welche Indizien können Sie uns anbieten, dass sich etwas zum Guten gewandelt hat?

Die geringen Abstände der Topfahrer nach zwölf Etappen beispielsweise. Oder: dass keine Mannschaft mehr das Rennen dominieren kann. Vergleichen Sie das doch einmal mit der amerikanischen Regulierungsbehörde von vor vier Jahren. Ein weiteres Indiz ist, wie schnell bei schweren Etappen Gruppettos zustande kommen. Früher sind einzelne Fahrer am Berg hinten aus dem Feld gefallen. Heute macht es zack, zack, und 20 Mann sind weg.

Ist die Tatsache, dass Gerolsteiner so stark abschneidet, ein Indiz für eine saubere Tour?

Ich habe vor der Tour gesagt, ich hoffe auf größere Chancengleichheit, und habe hinzugefügt, dass unsere Chancen besser sind, je gleicher die Chancen sind. Aber das hat schon wieder den Unterton der Überheblichkeit. Ich kann mir nie sicher sein, dass es in meiner Mannschaft so läuft, wie es ich gerne hätte. Ich möchte nicht die Klappe aufreißen und sagen, wir fahren so gut, weil alle sauber sind.

Das Misstrauen beeinflusst nicht den täglichen Umgang mit Ihren Fahrern?

Das Misstrauen muss man einfach haben. Das war der Fehler, der in der Vergangenheit am häufigsten gemacht wurde, dass man seinen Fahrern vertraut hat. Man schützt sich vor falscher Kollaboration.

Sie haben aber Stefan Schumacher mitgenommen, obwohl Sie Grund hatten, ihm zu misstrauen?

Wir haben nach einer tiefgreifenden Auseinandersetzung nach seinen Affären eine neue Arbeitsgrundlage gefunden. Das Interessante an der Geschichte für mich ist, dass die deutschen Medien niemandem zutrauen, dass er sich ändern kann.

Sind teaminterne Kontrollsysteme die Zukunft?

Ich halte nichts von internen Kontrollprogrammen. Das schafft falsche Sicherheit. Aus meiner Sicht dient das vor allem kommunikativen Zwecken. Ich bin der Überzeugung, dass jeder Cent, der in ein übergeordnetes System investiert wird, besser angelegt ist. Wenn Sie sich die Mannschaften anschauen, die am meisten in ein internes System gesteckt haben, dann sind das die Mannschaften mit den größten Skandalen. Jedes interne Kontrollprogramm können Sie umdrehen in ein Herantasten an Grenzwerte. Deshalb haben wir auch keinerlei medizinische Messgeräte mehr dabei.

Wo sehen Sie den Radsport in fünf bis zehn Jahren?

Ich möchte den Sport an einem Punkt sehen, an dem man die ethischen Ausrutscher, die dann noch passieren, normal behandelt, weil man darauf vertraut, dass der Sport grundsätzlich auf dem richtigen Weg ist. Ich würde aber vor allem gerne sehen, dass der Sport sein wirtschaftliches Potenzial ansatzweise ausschöpft. Es ist nicht normal, dass ein Sponsor 6 Millionen Euro investiert und sich 60 Millionen Euro als Gegenwert anrechnen kann. Radsport ist einfach zu billig. Der Radsport kann durch sein Dopingproblem nicht verlangen, was er wert ist.

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