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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Jetzt fahren wir in die Bürste

Das letzte automobile Abenteuer im verkehrsberuhigten Deutschland: Die Waschanlage

Reden wir über etwas Schönes. Reden wir über Autowaschen. Autowaschen hat in unseren fortschrittlichen Kreisen seit langem einen schlechten Ruf. Das liegt am Standard-Autowasch-Witz, der gesetzlich für jedes deutsche Kabarettprogramm vorgeschrieben ist: Samstagnachmittag, Vorstadtsiedlung, Männer in weißem Unterhemd seifen, schrubben, wienern den Opel vor der Garage, trinken Bier aus der Flasche und hören dabei in der Radiosendung „Sport und Musik“ wie Bayern München in letzter Minute Deutscher Meister wird. Das gilt als komisch.

Deshalb traut sich im wirklichen Leben kaum noch jemand, öffentlich sein Auto zu waschen. Das letzte weiße Männerunterhemd, das ich gesehen habe, trug eine junge Frau in der Disko. Opel muss bekanntlich Arbeitsplätze abbauen. Und wer sich noch für Fußball interessiert, guckt mit heruntergelassenen Rollos aus 84 wählbaren Kameraperspektiven im Pay-TV wie Bayern München schon zehn Spieltage vor Schluss als Meister feststeht. Das nenne ich Fortschritt.

Zugegeben: Ich selbst wasche mein Auto auch nicht auf der Straße. Eigentlich wasche ich mein Auto nie. Das kann meine Freundin übernehmen, dachte ich. Die Erfahrung lehrt: Alle Menschen können schmutzige Badezimmer, schimmliges Geschirr und keimende Küchen irgendwann einfach nicht mehr ertragen und müssen zum Putzzeug greifen. Aber bei Frauen kommt dieser Moment schneller. Das ist das Geheimnis jeder funktionierenden, gemischtgeschlechtlichen Wohngemeinschaft. Nur bei Autos klappt das leider nicht.

Verschiedene Schichten aus dänischem Sand, märkischem Staub und den letzten echten Ruhrgebiets-Rußpartikeln hatten das ehemalige Grün unseres Wagens in einen Farbton verwandelt, der irgendwo zwischen Ocker, Umbra und Babyscheiße lag. Im Innenraum sah es nicht besser aus. Als eine mitgenommene Anhalterin verlangte, auf der Stelle auszusteigen, „weil hier irgendetwas lebt“, wusste ich: Es gilt zu handeln.

Ich fuhr in eine Autowaschanlage. Genauer: zu Cosy-Wasch. Der Firmenname könnte kaum besser gewählt sein: Cosy liegt im Englischen irgendwo zwischen „gemütlich“ und „behaglich“ und genauso war es in den Waschstraßen meiner Kindheit. Mein Vater – der sich mit seinem Japaner Samstags nicht zwischen die Opels traute – fuhr mit mir regelmäßig „in die Bürste“. Ich durfte mich extra nach vorne setzten, mein Vater tat jedes Mal so, als fiele ihm erst im allerletzten Moment bevor das Wasser kam ein, sein Fenster zu schließen. Und nach den riesigen Bürsten und Schwämmen, wenn das Auto auf die große Puste zurollt, die erst im allerletzten Moment vor der Heckscheibe hochgezogen wird, schrie mein Vater immer: „Aaaah, wir werden zerquetscht!“ Es war super.

Das ist schon zweieinhalb Jahrzehnte her, und als ich jetzt durch die Cosy-Waschstraße rollte, staunte ich, was sich hier alles verändert hat: nämlich gar nichts. Die gleichen lustigen Riesenbürsten und die Wasserspritzen. Nur Siegelgoldwachs kostet jetzt sechs Euro. Hier ist die Welt noch in Ordnung.

Bis ich anschließend vor der Waschstraße den Innenraum saugen wollte. Neben mir putzten vier junge Türken ihr Jeep-Cabrio. Sie trugen keine Unterhemden, sondern Designer-T-Shirts, wuschen nicht mit Schwamm und Wasser, sondern trugen einen Spezialschaum auf, den sie anschließend mit kleinen Ledertüchern langsam abzogen. Dazu hörten sie nicht „Sport und Musik“, sondern aggressiven Rap.

Als ich meine Unterbodenmatte ausklatschte, herrschte mich einer von ihnen an:

– „Ey, was machst du, du Affe?“

Das war durchaus respektvoll gemeint. Auch wenn es nicht direkt so klingt. Aber Affe ist immerhin ein Gegner: „Du Opfer“, sagen sie in unserem Bezirk, wenn sie einen wirklich beleidigen wollen.

– „Wo liegt das Problem?“, fragte ich.

– „Dein Scheißstaub kommt auf meinen Lack, du Affe. Verpiss dich“.

– Spontan wollte ich antworten: „Fickt eure Mütter“ oder wenigstens: „Cosy-Wasch ist für alle da.“ Aber leider war ich nicht tapfer genug und bin nur um die Ecke gefahren. Den Lackaffen mit ihrem Jeep wünsche ich jedenfalls die Drogenfahndung auf den Hals. Oder wenigstens das deutsche Kabarett.

Fragen zu Autowaschen? kolumne@taz.de Montag: Susanne Lang über DIE ANDEREN