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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Der Feind in meiner Küche

Die Orte und Schwämme wechselten, der Spüler blieb. Bis die SE 24 M 256 EU kam

Ich spüre es schon, als sie an meiner Wohnungstür klingeln. Das Gefühl eines unwiederbringlichen Verlustes befällt mich. So muss ein leidenschaftlicher Fußballer den dritten Kreuzbandriss empfinden. Oder eine talentierte Ballerina den zu großen Busen, der ihr in der Pubertät unverhofft wächst. Oder ein Kinderstar den Stimmbruch. Trotzdem drücke ich auf, und zwei kräftige Männer in roter Arbeitskleidung wuchten ein riesiges Elektrogerät in meine Wohnung im dritten Stock. Die SE 24 M 256 EU ist da. Ich quittiere meine Niederlage mit einer Unterschrift.

Es ist vorbei.

Für immer.

Wir haben jetzt eine Spülmaschine.

Ich weiß, normale Menschen finden Spülen scheußlich oder mindestens nervig. Auch ich war einmal so ein normaler Mensch. Als Student achtete ich sogar darauf, dass in meinen WGs immer mindestens eine Frau wohnte, die sich früher vor Speiseresten und verschimmelten Tellern ekelte als ich selbst.

Das perfide Okay-ich-war-dran-aber-du-warst-schneller-,-selbst-schuld-Prinzip hat zwei Tiermedizinerinnen, eine Biologin und eine Lehramtsstudentin in rascher Abfolge verschlissen. Mit verdammt wenig Spülen bin ich bis kurz vors Diplom gekommen.

So ein gemeines Verhalten schaut sich der liebe Gott natürlich nicht ewig an: Meine Strafe war die Frau, die noch besser weggucken konnte als ich, die manchmal die Küche Monate nicht betrat und deren Speisereste so weit entwickelt waren, dass sie eindeutige Anzeichen von intelligentem Leben ausprägten. Und ich wurde wirklich gestraft: Die, die nie spült, zog nicht nur in meine Wohnung ein, sondern auch in mein Leben.

Und so habe ich dann immer hinter ihr her gespült: zuerst in Leipzig, dann in Berlin, zwischendurch in Spanien und kurz in den USA. Die Orte und Schwämme wechselten, der Spüler blieb. Das fand meine Freundin natürlich toll – ein paar Jahre lang. Dann wurde sie skeptisch und hat mich gefragt, ob etwas mit mir nicht stimmt.

Ich habe ihr erklärt: Mit dem Spülen ist es wie mit dem Whiskey. Der erste schmeckt nie. Aber irgendwann hat man sich weise getrunken.

Betrachten wir es realistisch: Spülen ist eine ruhige, unzweifelhaft sinnvolle Tätigkeit. Von welcher Arbeit kann man das noch behaupten?

Man kann beim Spülen denken. Und die Finger sind angenehm lauwarm. CDs kann man natürlich auch hören beim Spülen. Bestimmte CDs kann ich nur beim Spülen hören: Neben dem Lappen, der Fit-Flasche und dem Scotch-Brite-Topfreiniger liegen bei mir seit Jahren die Gesänge von Taizé sowie die Hörbücher „Lutz Görners deutsche Balladen für Kinder“ und „100 Schalker Jahre“. Irgendwann hat meine Freundin mir zu Weihnachten einen teuren Funk-Kopfhörer für die Stereoanlage geschenkt.

Und Spülen wird – anders als Sex – mit den Jahren wirklich immer besser: Denn der Alltag wird ja immer voller, man rennt und hetzt immer mehr und muss sich für jede Minute Entspannung rechtfertigen.

Fürs Spülen nie. Spülen braucht keine Begründung. Gespült werden muss immer.

So ging es viele gute Jahre und ich hätte immer so weiter spülen können. Doch was dem Menschen am sichersten scheint, wird ihm am ehesten genommen: Immer mehr Arbeit türmt sich auf immer mehr Pflichten, die Zeit wird immer knapper und dann gibt es plötzlich noch ein Kind, das sich langweilt und quengelt, wenn Papa schon wieder spült. Plötzlich werden Rationalisierungsmaßnahmen überlegt. Und dann ist der Zauber dahin. Im Geschäft habe ich noch genörgelt, von wegen hoher Energie- und Wasserverbrauch und Ökobilanz und so.

Vergeblich: Jetzt ist die Spülmaschine da. Sie erkennt den Härtegrad des Wassers und passt die Spülmittelkonzentration an. Außerdem hat sie einen Turbogang für Gläser nach Partys. Da kann ich natürlich nicht mithalten. Das Kind steht auch schon eine halbe Stunde fasziniert vor den ganzen Knöpfen. Aber ich bin sicher, die SE 24 M 256 EU hört nicht die Gesänge von Taizé.

Fragen zum Härtegrad? kolumne@taz.de MONTAG: Susanne Lang über DIE ANDEREN