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Archiv-Artikel

RALPH BOLLMANN POLITIK VON OBEN Mantra gegen den Staatsbankrott

DAS VERSPRECHEN, VOM JAHR 2020 AN KEINE NEUEN SCHULDEN MEHR AUFZUNEHMEN, ZEIGT VOR ALLEM EINES: WIE ERNST ES UM DEN BUNDESHAUSHALT WIRKLICH STEHT

Wenn der Pilot die Fluggäste bittet, Ruhe zu bewahren, dann ist die Lage an Bord ziemlich ernst. Nicht anders ist es in der Politik. So erschloss sich im vorigen Herbst die Schwere der Finanzkrise vielen Leute erst, als die Regierung den Schutz der Sparguthaben versprach und von übereiltem Plündern der Bankkonten abriet.

So ist es auch, wenn der Bundesrat am kommenden Freitag aller Voraussicht nach die Schuldenbremse beschließt. Das Versprechen, vom Jahr 2020 an praktisch keine neuen Kredite mehr aufzunehmen, zeigt vor allem eines: dass die durch Bankenrettung, Konjunkturpakete und Steuerausfälle entstandenen Schulden so gigantisch sind, dass den Spekulationen über Inflation und Staatsbankrott nur mithilfe einer Verfassungsänderung beizukommen war.

Schon oft hat ein Staatsbankrott das Schicksal eines politischen Systems besiegelt. Dass der spanische König Philipp II. im 16. Jahrhundert gleich dreimal seine Kredite nicht mehr bedienen konnte, signalisierte deutlicher als alle äußeren Ereignisse den Niedergang des zunehmend erstarrten Landes. Dass sein französischer Amtskollege Ludwig XVI. zwei Jahrhunderte später in höchster finanzieller Not bei den Ständen um neue Steuern betteln musste, beendete bekanntlich die Monarchie.

Noch nie hat ein Politiker persönlich davon profitiert, dass er den Schuldenstand des Landes senkte und auf diese Weise zur Systemerhaltung beitrug. Im Sommer 1989 war Helmut Kohl nahe daran, den Bundeshaushalt auszugleichen – und im folgenden Jahr abgewählt zu werden. Nur die kreditfinanzierte Wiedervereinigung hielt ihn für weitere acht Jahre im Amt.

Die Verfassungsänderung soll nun vor allem eines: einen Sachzwang schaffen. Nicht der böse Politiker ist es dann, der aus freiem Willen wahlweise die Renten kürzt, ein paar Theater schließt oder die Steuern erhöht. Das Grundgesetz verlangt es so. In der Praxis wird das kaum funktionieren. Schon weil der Konjunkturzyklus, an dem sich der Schuldenstand künftig orientieren soll, im Voraus nicht bekannt ist. So offenbart der Glaube, ein politisches Naturgesetz lasse sich durch neue Grundgesetzartikel aus der Welt schaffen, vor allem eines: die hohe Meinung der Deutschen vor ihrer Verfassung. Womöglich hält sie die Sparer wirklich davon ab, aus Staatsanleihen in Gold und Immobilien zu flüchten.

■ Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz

Foto: Archiv