RALPH BOLLMANN POLITIK VON OBEN : Die schlanken Jahre sind vorbei
Fettpolster kommen zurück, an der Taille wie im Staatshaushalt. Gute Zeiten für Konservative, die mit Geld nicht umgehen können. Schlechte Zeiten für eine Gesundheitspäpstin von der Leyen
Ursprünglich dachte ich, es liege am Körpergewicht. Neue, schlankere Politiker traten Ende der Neunzigerjahre in Erscheinung. Anders als der massige Helmut Kohl, für den „Bimbes“ nur Mittel zum Zweck gewesen war, rückten sie das Geld in den Mittelpunkt ihrer Politik. Oder vielmehr das Geld, das es nicht gab.
Nachhaltigkeit war das Schlagwort. Fettpolster wurden abgeschmolzen: physisch in den Fitnessstudios, die sich damals in den Zentren deutscher Großstädte ausbreiteten; metaphorisch in den öffentlichen Haushalten, deren Schuldenlast zuletzt angewachsen war wie unter den französischen Bourbonen am Vorabend der Großen Revolution.
Meine Überzeugung, dass Konservative nicht mit Geld umgehen können, bildete sich Ende des Jahrzehnts in Berlin heraus. CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen weigerte sich damals beharrlich, die finanziellen Nöte der klammen Hauptstadt zur Kenntnis zu nehmen. Seine SPD-Finanzsenatorin bremste er ebenso aus wie deren Nachfolger von der CDU. Erst eine Linksregierung bekam die Berliner Finanzen in den Griff. „Sparen, bis es quietscht“, so formulierte es SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit, der vielen kurioserweise als Verfechter staatlicher Ausgabenpolitik gilt.
Damals keimte bei mir der Verdacht, dass sich solide Haushaltsführung nicht recht auszahlt. Die Senatorin, die Diepgen einst piesackte, nahm ein unrühmliches Ende bei der Privatisierungsabteilung der Bundeswehr. Und Thilo Sarrazin, der für Wowereit den harten Sanierer gab, wurde nach Frankfurt zur Bundesbank weggelobt und hat auch dort nicht viele Freunde.
Von daher konnte mich die Nachricht nicht wirklich überraschen, dass die neue schwarz-gelbe Regierung die Sparbemühungen der SPD-Minister Hans Eichel und Peer Steinbrück rüde beenden will und zu konservativer Schuldenmacherei zurückkehrt. Ewig wird das zwar nicht gutgehen. Aber bis der Zusammenbruch unmittelbar bevorsteht und Gegenmaßnahmen erfordert, sind die Sozialdemokraten womöglich wieder hinreichend erstarkt.
Erstaunt hat mich in diesem Zusammenhang allerdings die Meldung, Ursula von der Leyen wolle sich künftig der gesundheitlichen Volkserziehung annehmen. Die prekäre Unterschicht zu körperlicher Fitness anzuhalten, zu gesunder Körnerkost und dem medizinisch nutzlosen Besuch im Bioladen – das hatte ich bislang für eine Domäne der grünen Verbraucherschützerin Renate Künast gehalten. Tatsächlich hatte ich mir erhofft, die wachsende Kooperation mit der Volkspartei CDU werde den Grünen ihre Aversionen gegen unterbürgerliche Schichten austreiben.
Vor allem aber dachte ich, das Streben nach dem schlanken Staat und körperlicher Konsolidierung gehe Hand in Hand. Beide Phänomene traten vor zehn Jahren gemeinsam in Erscheinung, und beide schienen zuletzt gemeinsam zu verschwinden. Passend zur schwarz-gelben Verschuldungsorgie berichten jedenfalls alle Zeitungen über ein Buch des Soziologen Friedrich Schorb, der den Schlankheitswahn zur medizinischen Lüge erklärt.
Ein maßvoll erhöhtes Körpergewicht, heißt es neuerdings, verlängere die statistische Lebenserwartung sogar. Ganz so, wie in Zeiten des Neokeynesianismus auch eine wachsende Verschuldung nicht mehr als Ausweis mangelhafter Staatskunst gilt. Sogar im Stau steht der Bundesbürger neuerdings mit wohligem Gefühl, seit die Erneuerung völlig intakter Straßen als Maßnahme zur Konjunkturbelebung gilt.
Damit es nicht zu einem Missverständnis kommt: Aufklärung in Ernährungsfragen halte ich durchaus für ratsam. Und hohe Schulden würde ich gleichfalls niemandem empfehlen. Mich wundert nur der Widerspruch, warum eine Regierung Schlankheit predigt und Verschuldung praktiziert.
■ Der Autor leitet das Parlamentsbüro der taz Foto: privat