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Press-SchlagJede Flasche kommt an

■ Perfekt vermarktet entsteigt Guy Delage in Barbados dem Meer

Ich verlasse jetzt die Gesellschaft der Menschen“, sagte Guy Delage, bevor er am 16. Dezember auf den Kapverden ins Wasser stieg, um den Atlantik zu durchqueren. Schwimmend. Am Donnerstag ist der Franzose nun auf Barbados wieder dem Meer entstiegen. Ein paar Kilo schlanker und um 55 Tage Einsamkeit und drei Begegnungen mit Haien reicher hat der 42jährige seinen Weltrekord geschafft.

„Das Blaue“, verriet er dem privaten französischen Fernsehsender TF 1 schwärmerisch, „ist faszinierend. Es ist rein, azur, grau, türkis, eine Kinderwelt, und frei von jeder Umweltverschmutzung.“ Das Exklusivinterview fand einen halben Tag nach dem Ende der Expedition statt. In den Stunden zuvor hatte der Atlantikdurchquerer ausgeruht, seine Familie begrüßt, erste medizinische Untersuchungen gemacht und eine Sonnenbrille aufgesetzt. Aber den schwarzen Ganzkörperneoprenanzug mit dem dicken Schriftzug „Sector“ auf der linken Brust, dem Namen einer italienischen Uhrenfirma, trug er immer noch.

Rund eine Million Francs (etwa 290.000 Mark) hat Delage für den Exklusivvertrag mit TF 1 bekommen, wird in der Branche gemunkelt. Auch die beiden anderen Medien, mit denen der Schwimmer sprach, sollen ordentlich gezahlt haben. Hinzu kommen mehrere Millionen, die er von der Uhrenfirma, die grundsätzlich mit Extremsportarten wirbt, und der französischen Stadt Nantes bekommen hat. Die zahlreich angereisten Reporter nichtzahlender Medien gingen unter den Palmen am Strand von Barbados leer aus. Zwei nichtzahlenden Fotografen rissen Unterstützer des Schwimmers die Filme aus dem Apparat.

Die bissigen Kommentare ließen nicht auf sich warten. „Der ist doch gar nicht geschwommen“, stellte ein wettkampferprobter französischer Schwimmer zu Recht fest: Delage hat von den 3.900 Kilometern zwischen den beiden Inseln nach eigenen Angaben knapp ein Drittel schwimmend zurückgelegt. Den größten Teil der Strecke und seiner Zeit verbrachte er auf einem mit einem Segel und zahlreichen elektronischen Kommunikationsmitteln ausgestatteten Floß, das er an einem Band mit sich führte. Von diesem High-Tech-Floß aus informierte Delage seine Unterstützer über seinen Gemütszustand und über seine körperliche Verfassung. Wenn er schwamm, schaffte er einen halben Knoten pro Stunde. Wenn er auf seinem Floß ausruhte, kam er mit zwei Knoten pro Stunde voran. Die Strömungsverhältnisse im Atlantik nördlich des Äquators machen es möglich: Jede Flasche, die von den Kapverden ins Wasser geworfen wird, kommt unweigerlich auf Barbados an.

Eine Atlantikdurchquerung war es auch nicht, merken andere Nörgler an, schließlich beginne der Ozean an den afrikanischen Gestaden und ende erst an der Küste Amerikas. Und der Dienst für die Wissenschaft, den Delage selbst gern in den Vordergrund seiner Motive stellte, war's erst recht nicht: Nicht einmal dem Atlantikdurchquerer selbst gelang es, den Erkenntniswert zu vermitteln. Einer der Ärzte, die die Expedition für die französischen Medien kommentierten, hatte zudem einige Tage vor Delages Ankunft eine Prognose aufgestellt, die völlig falsche Erwartungen weckte. Der Schwimmer, so hatte der Arzt angekündigt, werde sehr geschwächt sein und „selbstverständlich“ an Land kriechen, denn nach 55 Tagen im Meer müsse sich dessen Körper erst wieder langsam an die Vertikale gewöhnen. Doch Delage kam zu Fuß an Land. Seinen achtjährigen Sohn trug er auf dem Arm über den Strand. Ein wenig helfen durfte bloß die blonde Gattin, die Delages Schwimmflossen trug.

Die Bilanz der „Atlantikdurchquerung“? Ein paar hübsche Dienstreisen für französische Sportreporter an die Gestade der Kapverden und von Barbados. Eine 55tägige Werbekampagne für die Sponsoren und ein Eintrag in die zahlreichen Bücher der Rekorde für den „schwimmenden Atlantikdurchquerer“. „Wenn ich mich vor eine Tür stelle und die hunderttausendmal auf und zu mache, schaffe ich so einen Eintrag auch“, hat ein Schwimmerkollege von Guy Delage angemerkt. Auch so ein Miesmacher. Dorothea Hahn, Paris

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