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Archiv-Artikel

Polentamais Wenn einer schmeckt, dann der

Alvaro Ferraris ist stolz auf die Qualität seiner Polenta. Sie ist was besonderes. Denn der Pensionär stellt sie aus den Maiskörner alter Landsorten her. Die Erhaltung der urspünglichen Sorten ist ihm eine Herzensangelegenheit

Man muss von Lucca aus viele kurvige Kilometer durchs Gebirge hinter sich lassen, ehe man das langgezogene Örtchen Galligano erreicht. Irgendwann wartet dann Alvaro Ferrari mit seinem alten Auto am Straßenrand, damit man die Abzweigung zu seinem kleinen Hof nicht verpasst. Für lange Begrüßungs- und Vorstellungszeremonien ist keine Zeit, hinter seinem unspektakulären Haus zeigt der kräftige Pensionär mit Stoppelfrisur ohne Umschweife sein Projekt. Denn im Spätherbst zur Erntezeit ist eine Menge zu tun.

Unübersehbar. Zu kleinen Bergen sortiert liegen Maiskolben verschiedener Größen und Qualitäten auf der Terrasse. Dahinter sind die schon vom Kolben gestreiften Körner zum Trocknen ausgebreitet. Mais überall, in kräftig leuchtendem Orange, er hängt auch zu kleinen Büscheln gebunden, wie in allen Weltregionen üblich, unter der Regenrinne.

Es ist ein besonderer Mais. Alvarro Ferrari baut „Granturko Garfagniano“ wieder an, der mit seinen besonders lang gezogenen Kolben nur hier in den Tälern wächst. Eigentlich hat Ferraris Familie nie wirklich aufgehört, die alte Landsorte zu pflanzen. Aber bisher wuchs auf ihrem kleinen Stück Acker nur eine kleine Menge, die man selber aß, weil sie besonders sämige und schmackhafte Polenta ergab. Seit jedoch Ferrari, der die meiste Zeit seines Lebens als Lkw-Fahrer arbeitete, pensioniert ist, reizt ihn auch die Vermarktung. Im kleinen Stil: „Das ist jetzt meine Passion und mein Zeitvertreib“.

Ferraris produktives Hobby hat sich herumgesprochen, nun bringen ihm auch die Nachbarn ihre alten Sorten. Vor fünf Jahren kam einer mit einem Kolben, der war noch dunkler als bordeauxrot und auch von der Art, die in Italien „Otto File“ genannt wird, acht Säulen, wohl weil die Körner in acht Reihen angeordnet sind. „Dieser alte Mann sagte: Ihr redet immer von Polenta“, erzählt Alvarro Ferrari, „aber habt ihr mal den hier gesehen? Wenn einer schmeckt, dann der!“ So hat Ferrari ihn ins Repertoire aufgenommen und erst mit seiner eigenen Sorte gemischt vermahlen, aber dann extra verkauft, um nicht die noch einmal gesteigerte Intensität des Geschmacks zu verschwenden.

Ferrari hat die Dinge gern so, „wie sie immer schon gemacht wurden“. Deshalb gibt es bei ihm weder Gentechnik, noch Kunstdünger, noch Pestizide. Aus Misstrauen hat er sich sogar eine eigene Mühle besorgt, wer weiß, was die sonst in seinen von Hand geernteten und verlesenen Mais hineinmischen. Gemeinsam mit zehn weiteren Bauern hat er die Marke Garfagniano gegründet, die jetzt über einen Händler in Lucca in italienischen Bioläden und Feinschmeckerlokalen verkauft wird.

Galligano ist eine von mehreren Inseln im Meer der industrialisierten Maisproduktion, die Italien sonst flächendeckend überschwemmt hat. Doch viele Bauern sind es nicht, die Tradition vermarkten.

Auf der anderen Seite des Stiefels, in Ancona, ist der Biologe Roberto Papa im Auftrag der Europäischen Union diesen alten Landsorten hinterher. Um die „nachhaltige Einführung von gentechnisch veränderten Organismen“ zu gewährleisten, müsse man erst mal wissen, was es vor der möglichen Auskreuzung von GVOs noch zu schützen gebe. So durchstreifen Papa und seine Kollegen jetzt die Gärten und Äcker von Hobbygärtnern, Regionalmuseen und professionellen Bauern in ganz Europa, um die noch lebendige Sortenvielfalt des Mais zu kartieren.

Tausende von alten Sorten haben sie allein in Italien gefunden, meist in den Bergen, jedenfalls dort, wo die Hochleistungspflanzen anzubauen nicht ökonomisch wäre. Die größte Vielfalt gab es in Rumänien. Die alten Sorten, sagt Papa, seien morphologisch und genetisch trotz der Gegenwart der Hybride fast unverändert geblieben.

Und sie werden auch wie früher zubereitet. Vor allem Polenta mit den verschiedensten Beilagen, aber auch Süßigkeiten brutzle er aus seinem Mais, erzählt Alvaro Ferrari. „Aber am allerliebsten eine Art Crostini, die man mit Schinken darauf als Vorspeise isst“. Das sei ein Familienrezept, „das habe ich den Restaurants in der Gegend verraten“, sagt der Lucceser Bauer, „die machen mir das jetzt nach“.

Er ist stolz auf die Qualität, die er produziert. Aber eigentlich interessiert ihn wenig, dass die Nachfrage riesig ist. Wichtiger sei die Arbeit, die ihn das Jahr über beschäftigt hält und mit der Erde verbindet: „Da war ich schon immer näher dran als meine Brüder. Und mehr als jetzt kann ich auch gar nicht produzieren“. KARLA PEDROTTI