: Polens erste Garde steht - Kiszczak nominiert
■ Nach langem Hin und Her wurde nun doch Innenminister Kiszczak als Ministerpräsident benannt / Zustimmung von Solidarnosc sicher
Warschau (dpa/afp/taz) - Das wochenlange Ringen um den neuen polnischen Ministerpräsidenten ist beendet. Auf einer Fraktionssitzung der Kommunisten teilte der scheidende Ministerpräsident und neu gekürte Parteichef Rakowski gestern mit, das Zentralkomitee seiner Partei habe sich für den bisherigen Innenminister General Czeslaw Kiszczak entschieden. Noch gestern sollte er von Staatspräsident Jaruzelski offiziell nominiert werden. Wann das Parlament den Regierungschef wählt, stand gestern jedoch noch nicht fest.
Der Berufsoffizier Kiszczak zählte lange Zeit zu den Falken und Scharfmachern seiner Partei. Als Vertrauter Jaruzelskis, der Kiszczak schon 1972 zum Chef der Spionageabwehr machte, war der frisch Nominierte maßgeblich an der Verhängung des Kriegsrechtes und den darauffolgenden Repressionen zwischen 81 und 83 beteiligt. In der letzten Zeit konnte sich der 63jährige Kiszczak, ein relativ liberales Image zulegen. Schon während der Streiks im Sommer 88 trat er als Vermittler hinter den Kulissen zwischen Regierung und Opposition hervor. Nicht zuletzt wird ihm dann auch der Erfolg der Gespräche am runden Tisch zwischen der unabhängigen Gewerkschaft und der Regierung im Frühjahr dieses Jahres zugeschrieben. Diese ebneten der Solidarnosc den Weg in die Legalität und garantierten ihre Teilnahme an den Parlamentswahlen im vergangenen Juli.
Kiszczak wurde am 19. Oktober 1925 als Sohn eines Landwirts in Südpolen geboren. Die deutsche Besatzungsmacht schaffte ihn als Zwangsarbeiter nach Breslau. Von dort entkam er und schloß sich der Widerstandsbewegung an. Nach dem Krieg trat er der kommunistischen Polnischen Arbeiterpartei bei. Im Juli 1981 wurde Kiszczak Innenminister. Zuvor hatte er bereits den Vorsitz der Kommission für öffentliche Ordnung übernommen, die den Boden für das im Dezember 1981 verhängte Kriegsrecht bereitete.
In der eigenen Partei ist die Nominierung Kiszczaks nicht unwidersprochen hingenommen worden. Kommunistische Abgeordnete sollen Bedenken zur Wahl Kiszczaks geäußert haben. Nachdem Jaruzelski zum Staatspräsidenten gewählt worden ist und Rakowski das Amt des Parteichefs übernommen hat, bekleidet nun ein Dritter ein wichtiges Amt, der in der Bevölkerung unmittelbar mit dem Kriegsrecht in Verbindung gebracht wird. Dort könnte der Eindruck entstehen, im Lande habe sich nichts geändert, verlautete aus den Reihen der kommunistischen Partei.
Die Parlamentsfraktion der Solidarität wollte noch über ihre Haltung beraten. Auch bei den Kommunisten war noch nicht klar, ob sie in der Abstimmung über Kiszczak die Fraktionsdisziplin einführen würde.
Da sich der ehemalige Innenminister in den Verhandlungen am runden Tisch bei der Opposition Respekt erworben hat, ist damit zu rechnen, daß sie ihn auch mittragen wird. Lech Walesa hatte sich bereits im Juli für Kiszczak als möglichen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten ausgesprochen. Der Oppositionsführer sagte damals, Kiszczak garantiere Kontinuität und habe sein Wort für freie Wahlen in vier Jahren gegeben. „Vielleicht gibt es einmal einen besseren Kandidaten, aber ich würde mich heute mit Kiszczak fotografieren lassen“, meinte Walesa in Anspielung auf die Wahlplakate, die Walesa mit jedem einzelnen der Solidarnosc -Kandidaten zeigten.
khd Tagesthema Seite 3
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