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Archiv-Artikel

Philipp Mausshardt über KLATSCH Gutschein beim Psychologen

Ich schenke meiner Frau immer Dinge, die letztlich mir zugute kommen: ein Luftgewehr, ein Kanu, einen Kleinbagger

Die ersten Tage eines neuen Jahres sind deshalb die schönsten, weil der Schmerz allmählich nachlässt. Dabei ist es ganz egal, wie man Weihnachten feiert: allein, zu zweit, in Familie oder mit Freunden – ich kenne diese Tage nur als Katastrophen, wobei durchaus zwischen ganzen und halben Katastrophen unterschieden werden muss. Dieses Jahr war eine Dreiviertel-Katastrophe.

Es fing damit an, dass meine Frau wenige Tage vor Weihnachten den unverzeihlichen Fehler beging, nur ihre Cousinen in Eberbach am Neckar, nicht aber auch noch ihre dort lebenden Tanten zu besuchen. Ein Vergehen, das in jener Familie mindestens mit der Todesstrafe gesühnt werden kann. Vorwürfe. Vorhaltungen. Schimpfkanonaden am Telefon, Tränen, Verwünschungen – als relativ unbeteiligter Beobachter habe ich anfangs ja noch darüber gelacht, bis ich in den Strudel mit hineingerissen wurde. Ich hatte zu mehr Gelassenheit geraten, was ich vielleicht besser hätte bleiben lassen sollen.

Eigentlich liebe ich Familie. Denn diesen absurden Film gibt es ohne Eintritt bezahlen zu müssen, und die Serie läuft täglich im Hauptprogramm.

Die Katastrophe nahm ihren Lauf, als dann auch noch ihre Schwiegermutter die Figuren der Weihnachtskrippe nicht herausrückte. Die seien im vergangenen Jahr nur ausgeliehen, nicht aber geschenkt gewesen, sagte meine Mutter, und meine Frau reagierte gereizt und sprach an Heiligabend kaum ein Wort. Erst nachdem die Verwandtschaft wieder abgezogen war und sie einen Blick auf das Verfallsdatum der Dauerwurst warf, die wir von Tante Irene erhalten hatten, hellte sich ihre Miene wieder auf: 7. Januar 2007. „Die hat sie wahrscheinlich sehr günstig bekommen.“

Ich selbst hatte mich dieses Jahr nicht getraut, das Weihnachtsgeschenk für meine Frau nach den bisher angewandten Kriterien auszusuchen. Bisher schenkte ich ihr immer das, was ich mir wünschte, in der Hoffnung, dass sie es nicht gebrauchen konnte und mir dann überließ. Das funktionierte mit dem Luftgewehr ebenso gut wie mit dem Kanu und dem Gartenbagger. Aber wie ich sie so dasitzen sah – nach jedem Anruf der Verwandtschaft neuerlich fluchend, weinend, unberuhigbar –, entschloss ich mich, ihr zu diesem Weihnachtsfest einen Halbjahres-Gutschein beim Psychotherapeuten zu schenken. Selten habe ich jemand mit einem Geschenk so glücklich gemacht.

Das Jahr, vielleicht auch nur das erste Halbjahr, verspricht also gut zu werden. Denn letztlich kommt wohl auch dieses Geschenk vor allem mir zugute. Vorausgesetzt, der Psychotherapeut erzählt ihr keinen Mist oder kommt gar auf die Idee, ihr einzureden, ich sei wie ihre Mutter. Ich würde sie auch immer nur ändern wollen. „Du bist wie meine Mutter!“ – es ist der endgültige Satz in jeder Beziehung.

Derselbe Therapeut hatte mich vor einiger Zeit und vor allem vor den Ohren meiner Frau doch tatsächlich mal „einen richtigen Scheißkerl“ genannt, obwohl ich die Stunden mit ihm privat abrechnete. Ich fragte mich damals, ob ich mir das gefallen lassen musste. Wahrscheinlich ja. Aber lange bin ich anschließend nicht mehr mit zur Paartherapie gegangen. Ich wollte mich nicht ändern. Es hätte mir schon vollkommen gereicht, wenn sie sich ändert.

Es stimmt einfach nicht, was Großvater zu sagen pflegte: dass das Elend der Menschen nur darin begründet liegt, nicht zu Hause bleiben zu können. Das Gegenteil ist richtig. Nicht weglaufen zu können ist das Elend der meisten. In zu kleinen Wohnungen zusammengepfercht zu leben und sich auf den Geist zu gehen. Sich keinen Therapeuten leisten zu können.

Es gibt Freitage, da versuche ich vor meiner Frau am Briefkasten zu sein. Dann ist die taz auf unerklärliche Weise verschwunden. Heute ist so ein Freitag.

Fragen zur Familie? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried CHARTS