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■ Pfarrer liefert Literatur vom MüllBis nach Nanking und Tirana

Göttingen (taz) – Vor rund achtzehn Monaten unternahm Pastor Martin Weskott seine erste Dienstreise in die neuen Bundesländer. Nicht in kirchlichem Auftrag, sondern in kulturpolitischer Mission. Von einer Müllkippe bei Leipzig klaubte der Pfarrer aus Katlenburg im Landkreis Northeim damals ein paar hundert vor sich hingammelnder Bücher und schaffte sie in sein Gemeindehaus im Südniedersächsischen. Seitdem hat der umtriebige Geistliche rund eine viertel Million Bände, 150 Tonnen Literatur, sämtlicher Gattungen vor dem Verfall oder dem Schredder bewahrt – Romane und Sachbücher, Bildbände und Atlanten, Krimis und Lexika. Die Bücher waren in den Wirren von Wende und Wiedervereinigung von ehemaligen DDR-Verlagen millionenfach weggeworfen worden. Inzwischen fährt Pastor Weskott im Transporter des örtlichen Getränkegroßhändlers alle zwei Wochen auf Tour, um auf Müllplätzen, in aufgelösten Buchhandlungen oder Betriebsbibliotheken in Ostdeutschland nach verwertbarer Literatur zu stöbern. Die meisten Bücher finden bei den allsonntäglichen Basaren in Katlenburg neue Besitzer. Neuerdings liefert Weskott die Bücher vom Müll aber auch ins Ausland.

Die Kirchengemeinde hat bislang vor allem Anfragen von deutschsprachigen Schulen, Kindergärten und Bibliotheken aus (ex-)sozialistischen Ländern befriedigt. So gingen Bücher an eine Mittelschule im chinesischen Nanking, an die Universität von Tirana und an eine evangelische Kirchengemeinde in St. Petersburg. Am vergangenen Wochenende wurde in Katlenburg ein Transport nach Dimitrov in die bulgarische Provinz versandklar gemacht.

Dort, nur 40 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, unterrichtet der Lehrer Frank Lukas an einem Gymnasium Deutsch und Biologie. Sein größtes Problem bei der Arbeit: das Fehlen von geeignetem Lehrmaterial. „Es gibt in Bulgarien extreme Schwierigkeiten, deutschsprachige Literatur zu beschaffen“, klagt Lukas. Da kämen ihm solche Gelegenheiten wie das Katlenburger Bücherlager, von dem er nur zufällig in einer deutschen Illustrierten gelesen hat, gerade recht. Aus den Literaturschätzen des Pfarrers hat er fast 500 Bände ausgewählt.

Den Transport organisiert Lukas auf eigene Rechnung. „Ich hab' mein Auto draußen stehen, und ich denke, daß ich die Bücher in einer Woche der Schule und den Schülern übergeben kann. Sie sind schon gespannt.“

Derweil liegen Martin Weskott schon weitere Bestellungen aus dem Ausland vor. Als nächstes soll eine Palette Bücher ins sibirische Alma-Ata geschafft werden. Reimar Paul

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