: Permanent am Abgrund
Die 'Junge Welt‘ zwischen Vergangenheit und Zukunft ■ Von Corinna Emundts
Eine Frage schwebt über der Berliner Presselandschaft: Welche Tageszeitung verabschiedet sich als nächste von ihren Lesern? Unlängst wurde das 'Spandauer Volksblatt‘ von der Tages- zur Wochenzeitung umgemodelt — eine letzte Gnadenfrist. Bereits im vergangenen Jahr verschwanden 'Der Morgen‘ und die 'Tribüne‘ vom Markt. Nun prophezeien Branchenkenner der 'Jungen Welt‘ das baldige Aus.
Das ehemalige Zentralorgan der FDJ, zu DDR-Zeiten mit einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren die größte Tageszeitung, hat gerade eine „spektakuläre Rettungsaktion“ hinter sich, wie der neue Verleger des Blattes, Peter Großhaus, selbst sagt. Anfang Februar hatte Großhaus die hochverschuldete Zeitung in einer Nacht-und-Nebelaktion von der Berliner Mediengruppe Schmidt und Partner übernommen. Ein Vertreter der IG Medien, der seinen Namen nicht genannt wissen will, bezeichnet den Verkauf allerdings als „anrüchig und am Rande der Gesetzlichkeit“. Er wundert sich über „die neuen großkapitalistischen Praktiken der Alt-Linken“ zu denen Großhaus und der vormalige 'Junge Welt‘-Geschäftsführer Erik Weihönig zu rechnen sind. Großhaus nämlich war vor der Übernahme Vize- Chef der Tageszeitung Junge Welt- GmbH unter Weihönig gewesen. Der IG-Medien-Mann meint, daß Großhaus genau kalkuliert und harte Personalpolitik betrieben habe. Nach dem Motto: Alles retten, was zu retten ist, falls die Zeitung eingeht. Die Redakteure aber säßen in einem solchen Fall ohne Abfindung auf der Straße.
Der Verlegerwechsel bedeutete erst einmal eine Niederlage der Mediengruppe Schmidt und Partner (MSP), die sich in wenigen Jahren vom linken Kreuzberger Kleinverlag zu einem Medienunternehmen mit 40 Millionen Mark Umsatz gemausert hatte. Schmidt und Partner führt den Verlag „ElefantenPress“ und kaufte vor vier Jahren die Satirezeitschrift 'Titanic‘ kurz vor einem möglichen Untergang. Nach der Wende fusionierte die Mediengruppe die DKP-nahe 'Volkszeitung‘ mit der Ost-Berliner Kulturzeitschrift 'Sonntag‘ zur Wochenzeitung 'Freitag‘, und im April vergangenen Jahres übernahm sie von der Treuhandanstalt die 'Junge Welt‘. Gleichzeitig wechselte Schmidt und Partner seine Adresse und zog von Kreuzberg in das Verlagshaus der ehemaligen 'Tribüne‘ im Ostberliner Stadtteil Treptow, das der Mediengruppe ebenfalls seit April 1991 mitgehört.
Als Schmidt und Partner die Zeitung 1991 übernahm, war die Auflage bereits auf 160.000 Exemplare gesunken, mittlerweile liegt die verkaufte Auflage nach eigenen Angaben bei 96.000 Exemplaren. Millionenschwere Forderungen hingen über dem Blatt, im Januar schließlich konnten Gläubiger der Tageszeitung Junge Welt GmbH eine Kontensperrung durchsetzen. Der Verlag war handlungsunfähig und meldete Konkurs („Antrag auf Gesamtvollstreckung“) an. Geschäftsführer Erik Weihönig gab auf. Gegenüber der taz war er in dieser Sache zu keiner Auskunft bereit.
Die 'Junge Welt‘ blieb quasi in der Familie, wenn auch nicht im selben Verlag. Großhaus betreibt die Zeitung jetzt mit seiner Verlagsanstalt in Berlin (VAIB) per Puzzle-Strategie: 25 der 50 Redakteure wurden von der VAIB übernommen, der Rest wird von der Moderne Zeiten GmbH beschäftigt, die ebenfalls Peter Großhaus gehört. Die Anzeigen liefert eine Schmidt-und-Partner-Agentur, gedruckt wird bei der MSP-Druckerei „Tribüne Druck GmbH“. Wieweit also MSP immer noch an der 'Jungen Welt‘ verdient, bleibt unklar. Durchsichtig ist hingegen die Generallinie von Großhaus: Werden möglichst viele kleine Betriebe gegründet, so erklärt der Mitarbeiter der IG-Medien, könne man „leichter operieren, Gewinne besser abschöpfen und das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeiter schwächen“. Bei nur 25 Mitarbeitern habe der Betriebsrat nicht viel zu sagen.
„Das ist alles ziemlich wahnsinnig, das hat es in der Art und Weise noch nicht gegeben“, meint Peter Großhaus stolz. Wem das Recht am Titel der 'Jungen Welt‘ seit einem Jahr gehört, will der 36jährige Geschäftsmann lieber im Dunkeln lassen — wohl aus Angst vor Gläubigerforderungen. Die Titelinhaber seien jedenfalls „im Dunstkreis von Schmidt und Partner angesiedelt“.
Peter Großhaus, der seit 1986 für Schmidt und Partner arbeitete, stellt sich selbst als Samariter dar, der eine vom Untergang bedrohten Zeitung gerettet hat — getrieben von linkem Idealismus. Seine Übernahmepraktiken aber werden von ehemaligen Mitarbeitern heftig kritisiert: So mancher Redakteur habe von dem Verkauf erst aus dem Ticker der Nachrichtenagentur 'adn‘ erfahren. Die Situation sei von Oben geschönt worden. Zwar wurden die festangestellten Mitarbeiter des Konkursverlages übernommen, doch für die festen Freien sah die Welt düster aus. Viele von ihnen klagen heute gegen den alten Verlag, weil noch Honorare ausstehen sollen.
Nicht nur die wirtschaftliche Situation sorgt für schlechte Stimmung in der Redaktion, sondern auch das Gerangel um das Konzept der Zeitung. Ein ehemaliger Mitarbeiter erzählt, daß er das Blatt verlassen habe, weil ihn „die Profillosigkeit und teilweise naive Berichterstattung“ störte: „Das Blatt ist zu unprofessionell.“ Chefredakteur Jens König, der seit November 1989 das Blatt leitet, erkennt dennoch eigenes Profil an der 'Jungen Welt‘: „Wir sind eine junge unabhängige Tageszeitung, die die Ostdeutschen im Wendeprozeß begleiten will.“ Doch auch er gibt zu, „daß die Zeitung professioneller werden muß“. Mit nur 50 Redakteuren für eine überregionale Tageszeitung sieht König die Schmerzgrenze erreicht: „Es ist eine permanente Wanderung am Abgrund.“ Mit einem neuen Image tut sich die 'Junge Welt‘ schwer. Sie muß die verstaubte FDJ-Vergangenheit — O-Ton: „Wir sind die Werbeagentur des Sozialismus“ — loswerden. Die Zeitung arbeitet mit einem großen Teil der Besetzung von vor der Wende. Zwecks Vergangenheitsbewältigung trifft sich deshalb regelmäßig eine „interredaktionelle Arbeitsgemeinschaft“. Redakteurin Petra Henneke meint, „daß die inneren Probleme die Arbeit blockieren“. Trotzdem müsse die Redaktion ihre Rolle reflektieren: „Wenn wir jetzt nicht die Chance nutzen, sind wir weg vom Fenster.“
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