Parteien blamieren sich im Internet: "Da muss jemand Nachhilfe erhalten"
Im Superwahljahr wollen die Parteien auch online Stimmen gewinnen. Doch die wenigsten begreifen, dass Wahlkampf im Netz anders funktioniert.
Machs auf Amerikanisch: US-Präsident Barack Obama gewann seinen Wahlkampf auch wegen seinen perfekt organisierten Internet-Aktivitäten. Nach seinem Erfolg im vergangenem Jahr versuchen jetzt auch die deutschen Politiker nachzuziehen. Aber die ersten Schritte im Web 2.0 sind noch sehr peinlich. Keine der Parteien weiß so genau, was zu tun ist - auch wenn es schon gute Ansätze gibt. Aber das Grundproblem ist, dass die Parteien die Onlinegeschichten nur als weitere Plattform sehen, als Mitmach-Web, welches den Usern suggeriert, an der Politik teilnehmen zu können. Die wenigsten Politiker begreifen, dass der Wahlkampf im Netz nicht nur ein anderer Kanal ist, sondern auch anders funktioniert. Weil diese Erkenntniss noch nicht in Deutschland angekommen ist, wird der Wahlkampf 2.0 dieses Jahr noch eine geringe Rolle spielen. Eine erfolgreiche Kampagne wie die Obamas werde es in Deutschland nicht geben, glaubt der Wahlkampfexperte Michael Spreng. Er sieht eine größere Rolle des Internets erst in etwa zehn Jahren.
Wow, ganz schön innovativ die CDU. Als erste Partei bietet sie Fernsehen im Internet, und das schon seit August. Darauf sind die Christdemokraten ganz stolz: "CDU baut Vorreiterrolle als Internetpartei aus", hieß es zur Eröffnung des TV-Kanals auf Youtube. Doch wenn man mal genauer hinschaut, ist das alles andere als modern. Langweilige Reden von Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt es massig. Jetzt auch noch hier. Obendrauf gibt es noch viele Beiträge zu Parteitagen und der Deutschlandreise von Generalsekretär Ronald Pofalla. Dass er nicht der beste Mann für diesen Job ist, merkt scheinbar auch die Partei. Peinlich werden seine endlosen Ausführungen auch noch mit seinem Wortlaut untertitelt. Aber undeutlich und ungehemmt weiter plappern darf er trotzdem. Das alles ist aber so öde, dass man am liebsten gleich abschaltet. Moderiert wird der Spaß dann auch noch von Markus Brauckmann, dem Chefredakteur von der Firma Blue Eyes, die das Format produziert. Brauckmann, der dem Zuschauer als "Reporter" verkauft wird, freut sich und nutzt nicht zum ersten Mal seine Chance, PR für die Christdemokraten zu betreiben. Mit diesem Auftritt ist die CDU weit entfernt von dem ursprünglichen Plan, unterhaltsam sein zu wollen. Statt Einbindung der Bürger gibts klassische PR mit eingestaubten Politikern auf dem Bildschirm.
Stimmenzuwachs: durch Online-Fernsehen
Stimmenverlust: durch Ronald Pofalla
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Die Sozialdemokraten wollen natürlich auch bei den neuen Medien mitmischen. Deswegen twittern sie nun. Den wirklichen Sinn des Micro-Blogging-Dienstes hat die SPD allerdings noch nicht verstanden. Eigentlich sollte man Twitter nutzen, um den Menschen virtuell näher zu kommen und ihnen aktuell etwas Neues mitzuteilen. Davon fehlt bei dem Profil www. twitter.com/spdde jedoch jede Spur. Fleißig werden einfach nur Links der Parteiseite gepostet. Aber wozu braucht man die eigentlich doppelt? Das Fragen sich anscheinend auch diejenigen, die der SPD bei Twitter folgen. Denn direkte Nachrichten sind hier Mangelware. Interessant ist auch die Angabe der Partei in der Kurzbiografie: "Wie keine andere Partei steht die SPD für Demokratie und Fortschritt." Wenn man sich ihr Gezwitscher im Internet anguckt, wohl kaum. Da kann man nur hoffen, dass sie in dem Offline-Wahlkampf wirklich "anpacken". Sonst siehts nämlich düster aus.
Stimmenzuwachs: durch das Prinzip "Doppelt hält besser"
Stimmenverlust: durch mediale Inkompetenz
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Die Youtubisierung ist auch bei der FDP angekommen. Die Liberalen haben dabei leider auch nicht viel eigene Ideen, denn sie lassen sich auch mit Niedermachen des Gegners auf den Wahlkampf ein. Dabei imitieren sie jedoch anders als die anderen Parteien das ehemahlige TV-Duo "Hauser und Kienzle" vom ZDF-Magazin "Frontal". Jeden Monat liefern sich dort nun statt Hauser und Kienzle der FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms und der Haushaltsexperte Otto Fricke einen Schlagabtausch. Das Ganze ist auf Youtube zu sehen. Die Realsatire ist beliebt und bekommt mit fast 6.000 Aufrufen doppelt so viel Aufmerksamkeit wie das CDU-Fernsehen. In der derzeitigen Episode elf fahren die beiden Liberalen mit der Bahn und echauffieren sich über die Enteignung von Banken. Contra gibt ihnen diesmal Stargast Ulrich Kienzle höchstpersönlich.Vielleicht dachten sich die Liberalen auch einfach: Wenn wir schon keine Politik können, dann versuchen wir doch einfach mal Comedy. Grinsen oder lachen muss man da nämlich schon mal. Leider täuscht dieser seichte Politiktalk jedoch über die inhaltlichen Schwächen der FDP hinweg.
Stimmenzuwachs: durch Unterhaltung
Stimmenverlust: durch zu wenig politisches Programm
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Die Linke bei Facebook
Willkommen bei Facebook. "Hier ist die Linke". Die Linken haben schon verstanden, wie man Videos von Youtube bei Facebook reinstellt. Leider sind das immer nur die Gleichen. Sechzig Sekunden lang dürfen sich Parteimitglieder äußern. Was dann aber eher im Drauflos-Motzen ausartet. Im aktuellsten Clip beschwert sich Klaus Ernst: "Das Wahlprogramm der SPD ist pure Heuchelei." Soviel die Linken auch wettern, von Information haben sie anscheinend nicht so viel gehört, denn unter der Rubrik "Info" stehen lediglich die Homepage der Parteiseite und ihr Gründungsdatum. Sollte man hier seinen Wählern nicht eigentlich einen Mehrwert bieten? Fehlanzeige! Außer Ankündigungen zu Parteiveranstaltungen und Propaganda gibt es hier nichts. Also auch nichts anderes als auf ihrer Internetseite.
Stimmenzuwachs: durch Motz-Videos
Stimmenverlust: durch mangelnde Information
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Grüne bei meinVZ
Erst hatten sich die Grünen gegen das soziale Netzwerk meinVZ gewehrt. Doch vor einigen einigen Tagen haben sie es dann auch dorthin geschafft. Dazu wird ihnen auf den wenigen Pinnwandeinträgen gratuliert: "willkommen im Vz". Das ist aber auch das einzig Positive dort. Denn sonst beschweren sich die Nutzer über die Unerfahrenheit im sozialen Netzwerk: "Wie kann man nur ein Pdf hier als Europawahlprogramm anhängen?! Schätzelein, da muss jemand wohl ein wenig nachhilfe erhalten … 170 Seiten … das erntet bei mir nur kopfschütteln …" Die Nachhilfe geben die Nutzer direkt in Form von Tipps: "fangt nicht an, irgendwas zu zensieren" und Anregungen: "schön wäre natürlich noch deutlich mehr Inhalt". Renate Künast und Jürgen Trittin werden mit übergroßen Porträtfotos und "Unser Spitzenduo" promotet. Immerhin zensieren die Grünen bisher noch nicht und haben schon Videos auf ihre Seite gestellt. Enttäuschend ist dabei nur, dass sie hier auf das Oppostions-Niedermach-Pferd mitaufspringen. So wird die Abwrackprämie in einem Cartoon mit Fotomontagen von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier verarscht. Eigentlich wollen die Grünen immer anders sein, das dürfen sie ja auch als Opposition. Solche Auftritte sind allerdings traurige Kopien der Konkurrenten.
Stimmenzuwachs: durch Nicht-Zensur auf der Seite
Stimmenverlust: durch Nachahmen der Konkurrenz
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