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Papier ist unsäglich geduldig Von Ralf Sotscheck

Britische Politiker erfüllen ihre Pflichten fachkundig und fehlerfrei. Ihr einziges Manko ist möglicherweise zu große Bescheidenheit und Wahrheitsliebe. Zu dieser Erkenntnis gelangt man unweigerlich, wenn man die Memoiren abgehalfterter Tory-Politiker liest. Der Griff zur Schreibmaschine oder zum Diktiergerät ist offenbar hochgradig ansteckend: Inzwischen gibt es mehr als ein Dutzend Bücher über die „Thatcher-Jahre“, geschrieben von ehemaligen Ministern und Staatssekretären. Papier ist freilich geduldig: Es gibt genausoviele Versionen der historischen Ereignisse, wie es Bücher gibt.

Die Werke folgen jedoch allesamt demselben Strickmuster: Der Autor zitiert die eigenen Reden sowie die positiven Reaktionen darauf, streut ein paar Danksagungen an Ehefrau und treues Personal ein und ergeht sich schließlich lang und breit über die geradezu genialen – doch von Kleingeistern mißverstandenen – Züge seiner Politik. Nach dem Rücktritt oder Rausschmiß eines Ministers vergehen keine 24 Stunden, bis der Betreffende einen lukrativen Buchvertrag unterzeichnet hat. Die Möchtegern-Schriftsteller stecken allerdings in einer Zwickmühle: Einerseits müssen sie ihre „Erinnerungen“ so schnell wie möglich auf den Markt werfen, weil sich nach einem halben Jahr niemand mehr für den Unfug interessiert – und erst recht nicht dafür bezahlt.

Andererseits lauert die Blamage bei einem Schnellschuß hinter jeder Ecke: So lobte Ex-Minister Peter Walker „die hohe Qualität“ des Maxwellschen Medienimperiums und Juniorchef Kevin Maxwells „große Fähigkeiten“. Heute wissen wir, daß diese Fähigkeiten vor allem in der Vertuschung der Verluste des maroden Imperiums und in der Plünderung der Rentenkassen bestanden. Mit seinem Urteil über Käse lag Walker genauso falsch: Lymeswold, der „erste britische Käse, der“ – mit Walkers Hilfe – „in diesem Jahrhundert neu auf den Markt“ kam, war schon wieder verschwunden, als das Buch veröffentlicht wurde.

Warum drängt es Politiker zur Selbstbeweihräucherung, auch nachdem sie abgewirtschaftet haben? Neben einem Platz in den Geschichtsbüchern, den sie sich von dem Geschreibsel erhoffen, das dann doch nur fürs Kuriositätenkabinett taugt, geht es vor allem um Geld. Um den Verkauf anzuheizen, muß man jedoch ein paar Gemeinheiten über ehemalige Kollegen verbreiten – oder zumindest so tun als ob. Niemand kann das besser als der ondulierte Kotzbrocken. Während die Tories in Blackpool tagten, wartete das Labour-Boulevardblatt Daily Mirror täglich mit neuen Details aus Margaret Thatchers Memoiren auf, die man sich angeblich unter den Nagel gerissen hatte – trotz schärfster Bewachung durch den ehemaligen Manchester Polizeichef John Stalker, der übrigens ebenfalls längst seine Memoiren veröffentlicht hat. Thatcher sollte laut Mirror darin ihren Nachfolger John Major als „intellektuelles Leichtgewicht“ beleidigt haben. Als ihr Buch gestern endlich erschien, war davon jedoch keine Rede mehr: Major kam glimpflich davon, der Mirror war einer Falschmeldung aufgesessen – von wem lanciert? Thatcher kassierte 3,5 Millionen Pfund für ihre – lückenhaften – Erinnerungen. Der britischen Bevölkerung graust es vor dem Tag, an dem ihr blasser Nachfolger zum Bleistift greift.

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