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Archiv-Artikel

PRESS-SCHLAG Jetzt geht’s wieder los!

TRAUERARBEIT Robert Enkes Freitod jährt sich demnächst zum ersten Mal – aber hat das überhaupt irgendetwas mit Fußball zu tun?

Ach ja, Enke. Am kommenden Mittwoch ist es genau ein Jahr her, dass sich der Torhüter das Leben nahm. Drei Tage zuvor, am Sonntag, spielt der Verein, bei dem Robert Enke unter Vertrag stand, Hannover 96, gegen Borussia Dortmund, den aktuellen Tabellenführer der Fußball-Bundesliga. Noch mal drei Tage früher, also gestern, ging eine Meldung durch die Presse, dass die Trauergegenstände, die Fans nach dem Tod vor dem Stadion in Hannover ablegten, vom Diözesanmuseum Osnabrück gereinigt und konserviert werden. Am selben Tag lässt sich René Adler, Enkes Nachfolger als Nummer eins im Tor der deutschen Nationalmannschaft, mit der Klage zitieren, dass sich seit dem „tragischen Tod“ seines Kollegen nichts verändert habe: „So ist wohl dieses Geschäft.“

Da kann man nur sagen: Stimmt. Aber muss auch fragen: Verwundert das eigentlich? Hat irgendjemand wirklich geglaubt, Robert Enkes Tod würde den Profifußball in irgendeiner Form tatsächlich nachhaltig berühren? Ja, die Sammlung des Diözesanmuseums Osnabrück ist nun um einige Exponate reicher, aber am Wochenende geht es weiter um Sieg und Niederlage. Um Helden, die am Freitag geboren werden, Samstag einen Fehler machen und schon am Sonntag Versager sind.

Weil sich aber vor 365 Tagen einer der in diesem Zirkus angestellten Artisten vor einen Zug geworfen hat, muss nun der Rest der Belegschaft wieder ein paar Tage lang seinen vergleichsweise wenig trainierten Trauermuskel strapazieren. In Hannover hofft man wahrscheinlich, dass der erste Jahrestag nicht dieselben desaströsen sportlichen Folgen zeitigt wie das ursprüngliche Ereignis, das den Klub fast in die zweite Liga geführt hätte. In manchen Medien hofft man wahrscheinlich, dass genau das passiert, denn das wäre dann eine prima Geschichte. Jedenfalls besser als die, Enke posthum auf die Couch zu legen: „Jetzt verstehen wir, wie sehr er gelitten hat“, schrieb die Bild-Zeitung Anfang der Woche, aber irgendwie fehlte da schon der Enthusiasmus.

Denn seien wir ehrlich: Das Thema ist durch. Die Gesellschaft hat die Depression als das erkannt, was sie immer war: eine Krankheit. Mit der geht sie nun um wie schon länger mit Aids, wie mit Krebs oder einer Bronchitis, also ohne große Hysterie. Das haben wir dem Fußballprofi Robert Enke zu verdanken, und davon profitieren nun andere Fußballprofis wie Andreas Biermann vom FC St. Pauli. Sie können sich die eigene Schwäche eingestehen, sie können sich Hilfe suchen und in aller Öffentlichkeit darüber reden.

Das ist ein gesellschaftlicher Fortschritt. Mit dem Fußball aber hat das nur insofern zu tun, als der Fußball Teil dieser Gesellschaft ist. Doch die These, das unmenschliche Profigeschäft habe Enke in den Suizid getrieben, ist zwar schick, aber ziemlicher Schwachsinn. Auch wenn mit Hilfe dieser These zuletzt manches Buch geschrieben und verkauft wurde: Einen kausalen Zusammenhang zwischen Fußball und Freitod gibt es nicht. Robert Enke wäre mit großer Wahrscheinlichkeit auch in einem anderen Beruf depressiv geworden.

Die Forderung also, der Fußball müsse sich verändern, sie war schon falsch, als sie vor einem Jahr nach Enkes Tod zum ersten Mal erhoben wurde. Sie wird auch nicht sinnvoller nun, da sie im allgemeinen Jahrestagstrauerreflex wieder aufgewärmt wird. Denn Fußball ist vor allem eins: Sport. Und der ist nun mal undenkbar ohne die Niederlage. Sollte sich nun im Fußball, aber vor allem nicht nur dort der Umgang mit den Folgen solcher Niederlagen verändern, dann hätte der Tod von Robert Enke vielleicht wirklich einen Sinn gehabt. THOMAS WINKLER

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