PORTRÄT KEVIN KURANYI VON ANDREAS MORBACH : Scheinheiliger
Eigentlich war es ja sein Geburtstag, doch Manuel Neuer kümmerte sich erst um Kevin Kuranyi und schüttete dem Held des Abends den Inhalt seiner Wasserflasche übers Haupt. Dann musste Kuranyi hoch auf den Zaun. Zur Animation des blau-weißen Fußballvolks.
Als der Angreifer dann wieder unten war, erklärte er ergriffen: „Es war nicht leicht für mich in den letzten Jahren. Das ist jetzt ganz anders.“ Um genau zu sein: „Wunderschön.“ So schön wie die beiden Tore zum 2:0 in Leverkusen, die den 28-Jährigen endgültig zum Objekt wachsender nationaler Begierde machten.
Denn die WM naht, aber Deutschlands Stürmer sind außer Kuranyi (17 Saisontreffer) und dem aktuell verletzten Leverkusener Stefan Kießling (16) nur Schatten ihrer selbst. Deshalb wandte sich nun sogar Bayer-Coach Jupp Heynckes an Joachim Löw und teilte dem Bundestrainer, am Samstag Augenzeuge unter dem Bayer-Kreuz, sehr direkt mit: „In dieser Verfassung ist Kuranyi ein Kandidat für die Nationalmannschaft.“
Schalkes Fans („Jogi, mach die Augen auf!“) sehen das naturgemäß ebenso, doch Kuranyi äußert sich nur im Stile eines Klosterschülers. Hat ihn doch bekanntlich, als er im Oktober 2008, frustriert über seine Nebenrolle im Nationalteam, beim Länderspiel gegen Russland ausbüxte, der Bannstrahl des Bundestrainers getroffen. Diese Eselei hat Kuranyi längst öffentlich bereut. Er ließ sich auf sanften Druck seines Trainers Felix Magath hin sogar die Haare kürzen. Er wohnt, um mehr trainieren zu können, neuerdings ganz nahe am Trainingsgelände. Und er sagt über Löw mit einem Heiligenschein über dem Haupt: „Es war eine Entscheidung, die ein Mensch getroffen hat. Und nur dieser Mensch kann das ändern.“ So selbstlos, Löw beim Sprung über den eigenen Schatten nicht nach Kräften zu unterstützen, ist der Scheinheilige dann aber doch nicht. „Ich kämpfe so lange“, kündigt Kuranyi an, „bis er hoffentlich seine Meinung ändert.“