POLIZEIGEWALT : Überzogener Einsatz
Manches Gebaren scheint unausrottbar. Bei den Protesten gegen den Aufmarsch von 230 Neonazis am Samstag von Mitte nach Pankow setzte die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray ein, Fausthiebe wurden ausgeteilt, bei zwei Sitzblockaden schlugen die Einsatzkräfte derart brutal auf Gegendemonstranten ein, dass mehrere Personen ärztlich versorgt werden mussten. Selbst ein Journalist wurde Opfer der überzogenen Polizeigewalt. Was als längst überholte Praxis galt, die unter einer rot-rot geführten Innenverwaltung der Vergangenheit angehören sollte, hat sich leider wieder durchgesetzt.
Kommentar von FELIX LEE
Am Montag danach beruft sich der Innensenator auf das Versammlungsgesetz. Und die Polizei argumentiert, wer Widerstand leiste, dürfe sich nicht über Härte wundern. Dabei bewies die Staatsgewalt noch am 8. Mai 2005, dass ein besonnener Umgang sowohl mit Neonazis als auch mit Gegendemonstranten durchaus möglich ist.
Damals standen den Neonazis tausende Demonstranten im Weg. Bis zum symbolbeladenen Brandenburger Tor kamen die Nazis nicht. Der massive Gegenprotest zwang sie zur Umkehr. Zum 60. Jahrestag des Kriegsendes wussten die Einsatzleiter: Berlin kann sich keine Bilder von Polizisten leisten, die auf blockierende Gegendemonstranten einprügeln, um einen Naziaufmarsch durchzusetzen.
Nicht bei jedem Nazi-Aufmarsch kann mit so viel Gegenprotest gerechnet werden, dass ein Abbruch durch die Polizei gerechtfertigt wäre. Das kann aber umgekehrt keineswegs bedeuten, dass jeder Gegendemonstrant mit Polizeiprügel rechnen muss. Den wenigen couragierten Menschen, die den Rechten Paroli bieten, sollte sensibel Anerkennung gezollt werden. Erst recht, wenn sie einem Aufruf zum Protest von Politikern gefolgt sind.
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