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Archiv-Artikel

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH Wo das Kirschwasser fließt

Alles hat seine Ordnung und das Schwarzbrennen von Schnaps sowieso. Es gibt allerdings wenig kompliziertere Dinge

Mein Mitgefühl gilt in diesen Tagen Ulrich von Waldow. Möge er nicht zerbrechen an der Gnadenlosigkeit unserer Justiz und seien ihm seine Freunde treu. Es gibt ein Leben nach den Knast! Halte durch! Wir anderen Schwarzbrenner sind stolz auf dich.

Von Waldow, Bürgermeister von Ensch an der Mosel, wurde vergangene Woche vom Landgericht in Koblenz zu drei Jahren Haft verurteilt. In seinem Keller hatte von Waldow heimlich mit Hilfe eines alten Heizungskessels Schnaps gebrannt. Viel Schnaps. Der Staatsanwalt schätzte: so etwa 116.000 Liter. Den reinen Alkohol verkauft er, da zollfrei, sehr günstig an die Industrie.

Mein eigener Weg zur Schwarzbrennerei führte mich über Rumänien. Ein Freund aus Hermannstadt (Sibiu) nahm mich eines Abends mit ins „Zigeunerviertel“, wo fleißige Handwerker im Schein eines mächtigen Feuers Kupferbleche behämmerten. Aus dem Blech entstanden Kessel. Und aus den Kesseln führten kupferne Steigleitungen zu einem weiteren Kessel. Und alles zusammen war eine Schnapsdestille, mobil, wie Zigeuner eben sind, und daher leicht auf- und abzubauen.

Die Kupferschmiede gehörte zum Familienclan von Bulibasha, dem König der rumänischen Zigeuner. Wer in Hermannstadt einen Kupferkessel kaufen will, muss das beim König anmelden, damit der wiederum den Auftrag erteilen und seine Provision kassieren kann. Alles hat seine Ordnung und das Schwarzbrennen von Schnaps sowieso. Mit meiner nagelneuen Kupferdestille fuhr ich schließlich glücklich in Richtung Westen. Nie wieder Williams-Christ von Aldi.

Es gibt wenig kompliziertere Dinge als das Herstellen von Alkohol. Früchte hängen im Herbst überall ungenutzt an Bäumen und Sträuchern. Die meisten Äpfel verfaulen in Deutschland, weil sie niemand aufliest. Hätten mehr Menschen einen Kupferkessel im Keller, die Obstbaumwiesen wären sauber wie geschleckt. So aber bin ich meist einsam unterwegs, wenn ich in den Kleingartenanlagen der Umgebung meine Früchte sammle. Jetzt nur noch alles in einem Fass vergären lassen und warten, bis es an einem Wintertag draußen grau und neblig ist.

Die genaue Prozedur zu schildern verzichte ich. Vielleicht nur soviel: Zwischen Methylalkohol (macht blind und dumm) und Ethylalkohol (macht sehend und gescheit) sollte man stark unterscheiden. Wer mehr wissen will findet dazu alles bei Josef Pischl „Schnaps brennen – eine leicht verständliche Anleitung für Anfänger“ als Taschenbuch im Heyne-Verlag.

Es grenzt jedenfalls immer wieder aufs Neue an ein Wunder, wenn aus dem mit braunem Früchteschlamm gefüllten Kessel am Ende durch ein kleines Röhrchen kristallklare Flüssigkeit tropft, deren Aroma die Küche einhüllt wie in einen warmen Wintermantel. Da wird man, Zollvergehen hin oder her, demütig und gläubig und will am liebsten wieder in die Kirche eintreten. Einen Vorsatz, den man allerdings am nächsten Tag wegen des vielen notwendigen Probierens von Hochprozentigem wieder vergessen hat.

Der Synergieeffekt aus zigeunerscher Kupferschmiedekunst und schwäbischem Mostobst ist jedenfalls ein Grund, die Globalisierung auch als Chance zu sehen. In meinem Nachbardorf Wannweil, dort also, wo ich samstags immer meine Apfelsaftkisten kaufe, brennt in diesen Tagen Helmut Bader ganz legal in seiner Garage seinen Schnaps. 13 Euro und 3 Cent pro reinen Liter Alkohol muss der arme Bader an den Staat abführen, damit der wiederum seine Zollbeamten zahlen kann, die nach Schwarzbrennern suchen.

Ob diese Rechnung aufgeht, haben Bader und ich lange in seiner Garage nachgerechnet, während neben uns aus der großen Destille das Kirschwasser floss. Je länger wir rechneten und je mehr Kirschwasser floss, desto klarer kamen wir zu dem Ergebnis, dass hier ein großes Einsparpotenzial für die Bundesregierung liegt.

Bevor ich ging, haben wir noch des Bürgermeisters von Ensch gedacht. Und ihm in Abwesenheit zugeprostet.

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