PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : „Was würden Sie Hitler fragen?“
Der große Hans-Hermann Tiedje: Er verdient höchste Anerkennung. Auch dafür, dass er Florian Gerster beriet
An solchen nebeligen Tagen, das Herz zerrissen und das Konto leer, wenn also der Deisler in mir hochsteigt, dann habe ich einen kleinen Trick, um mich wieder fröhlich zu stimmen.
„Mach mir den Hermann“, sage ich zu mir selbst und schon fallen mir wieder die schönen gemeinsamen Stunden mit Hans-Hermann Tiedje ein, die zwar nur von kurzer Dauer waren, aber ein Leben lang genügen werden, um mich aufzuheitern. Der Mann mit der dicken Zigarre im Mund ist im deutschen Journalismus etwa das, was Ernst August von Hannover im Hochadel darstellt: ein Enfant terrible.
Oder um es in Werkzeugdeutsch auszudrücken: Wenn Franz Josef Wager von Bild der Hammer ist, ist Tiedje die Brechstange. Also ein Mensch mit Durchsetzungsvermögen und Überzeugungskraft. Tiedje war einmal Bild-Chefredakteur und brachte es dabei zu unerwartetem Ruhm, als er seinen Freund Helmut Kohl horizontal über die ganze Titelseite abbildete mit der Überschrift: „Der Umfaller“.
Heute ist Tiedje Vorstandsmitglied der Beratungsfirma WMP, jener Firma also, die den durchgeknallten Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, gerade um 1,3 Millionen Euro Beratungshonorar erleichtert hat.
Das erste Mal traf ich Hans-Hermann vor neun Jahren in einem Berliner Altbau im dritten Stock. Dort sammelte der kurz zuvor bei Springer mit 3 Millionen Mark abgefundene Tiedje neue Truppen, um mit der geplanten Info-Illustrierten Tango den Zeitschriftenmarkt aufzumischen. Wo’s lustig hergeht, bin ich immer gerne dabei, und so bewarb ich mich. Fünf korpulente Herren, mittendrin Hans-Hermann mit Zigarre, empfingen mich gegen 21 Uhr abends und schienen mir schon etwas angeschickert. Jedenfalls waren zwei der drei Fragen, die sie mir stellten, für mich nur durch vorhergehenden Alkoholkonsum zu erklären:
1. „Wen würden Sie anrufen um herauszubekommen, ob David Copperfield schwul ist?“
2. „Was würden Sie Hitler fragen, wenn er noch leben würde?“
3. „Was wollen Sie verdienen?“
Ich weiß bis heute nicht, ob es an Hitler oder meinen Gehaltsvorstellungen gelegen hat, dass Hans-Hermann mich nicht genommen hat. War aber auch besser so, denn Tango tanzte nur wenige Monate, ehe die Zeitschrift wieder begraben wurde.
Das nächste Treffen, Jahre später, war angenehmer. Tiedje lud mich zum Abendessen in den Münchner Königshof ein. Über was wir gesprochen haben, ist mir weniger in Erinnerung als jener entsetzte Blick des Oberkellners, nachdem Tiedje zum zweiten Mal eine Portion Kaviar bestellt und alles auf einmal mit dem Suppenlöffel weggeputzt hatte. Bei Tango (Gruner & Jahr) hatte Tiedje wie schon zuvor bei Bild, sagen wir, rund 3 Millionen Mark Abfindung erhalten. So konnte er sich zwei Portionen Kaviar leisten.
Anfang des letzten Jahrhunderts gab es in Deutschland den so genannten Sitzjournalisten, der immer dann als Übeltäter vorgeschoben wurde und ins Gefängnis musste, wenn die Redaktion wieder einmal etwas Ungehöriges gegen den Kaiser geschrieben hatte. Mir gefällt die Rolle des „Abfindungsjournalisten“ besser. Man wird dafür bezahlt, dass man nichts mehr schreibt. Leider hat das in meinem Leben noch nicht so oft geklappt, und daher bewundere ich einen wie Hans-Hermann Tiedje.
Wie Tiedje und Co. nun für 1,3 Millionen Euro Florian Gerster beraten haben, den Chef der deutschen Arbeitsverwaltung, verdient ebenfalls der Anerkennung. Der einzig sinnvolle Satz, den sie ihm als Gegenleistung für das viele Geld gesagt haben könnten, wäre der gewesen: „Wenn das herauskommt, bis du weg.“ Immerhin sitzt Hans-Dietrich Genscher im Aufsichtsrat von WMP und Günter Rexrodt im Vorstand. Zwei FDP-Minister also, die sich mit Spesenrechnungen auskennen.
Zugegeben: Jetzt hat sich hier ein wenig Neid in die Zeilen gemischt. Aber ich bin ja noch jung, ich kann ja noch hier und dort hinausgeworfen werden und dann eine Beraterfirma gründen. Mein erster Kunde: Hans-Hermann Tiedje.
Fragen zu Klatsch? kolumne@taz.de Morgen: Peter Unfried über CHARTS