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Archiv-Artikel

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH Küche in den Zeiten der Cholera

Wenn das Rote Kreuz in Indonesien den Kochlöffel schwingt, gehen wir besser in Deckung – es ist eine Katastrophe

Heute, nach langem Nachdenken, führe ich es auf die letzten Reste des in mir schlummernden schwäbischen Pietismus zurück. Wir, das sind ich und meine unmittelbare Umgebung, haben uns damit abgefunden, dass ich diesen Defekt habe: Ich kann nicht ruhig dasitzen und nichts tun. Nichtstun ist des Teufels. Arbeiten ist das Lob des Herrn. Früh aufzustehen ist mir ein Vergnügen, vor dem Frühstück die Garage aufzuräumen eine reine Lust. Im Urlaub eine Woche an einem Strand verbringen zu müssen, das gehört zum Schrecklichsten, was vorzustellen mir möglich ist. Manchmal, aus weiter, weiter Ferne dringt mir ein Lied meiner Mutter ans Ohr: „Wer nur den lieben langen Tag ohne Müh’ ohne Arbeit vertändelt, wer das mag, der gehört nicht zu uns.“

Insofern fühlte ich mich vor ein paar Tagen ein wenig unwohl beim Deutschen Roten Kreuz im indonesischen Teunom. Alle Ärzte und Krankenschwestern waren mit den Kranken und Verletzten beschäftigt, die Wassertechniker warteten die Pumpen und Generatoren. Nur ich saß untätig unter einem Zelt der kleinen Krankenstation herum und hatte keine Aufgabe.

Also ging ich in das Zelt gegenüber, in dem die Essensvorräte für die Mitarbeiter des Katastrophenteams gelagert waren, und inspizierte die Kartons. Ich riss die Pappe ein wenig auf, um besser sehen zu können: Schmelzkäse, Bockwürste, Tütensuppen und jede Menge Pumpernickel. In der zweiten Reihe der übereinander gestapelten Kartons fand ich Fertiggerichte in Aluminiumfolie: „Schweinegeschnetzeltes in leckerer Sahnesoße“. „Cevapcici mit Balkanreis“. Und sogar „Sauerbraten mit Rotkohl und Spätzle“. Daneben lagerten Büchsen mit Linseneintopf und noch mehr Bockwürste, wobei ich die Wahl zwischen „langen Saiten“ oder aber „kurzen Knackern“ hatte.

Der Einkäufer beim Roten Kreuz in Berlin schien das Wort „Katastrophe“ sehr wörtlich genommen zu haben. Als einzige Gewürze hatte er Salz, Pfeffer, Paprika und Majoran eingepackt. Die Mittagszeit näherte sich, kein Mensch weit und breit. Ich machte mich an die Arbeit.

Unter einem Stapel von Knäckebrot fand ich Thunfischdosen und in einem Karton nicht weit davon eine ganze Batterie voll „Instant Hühnerbrühe“. Wenn ich jetzt noch Crème fraiche und Kapern hätte … – den Gedanken verwarf ich, so schnell er mir gekommen war. Nicht eine einzige frische Zwiebel hatte der Disponent in Berlin eingepackt. Es gab vielleicht auch Wichtigeres. Wobei: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden.“

Egal, ich hatte mich für „Penne al tonno“ entschieden. Anstelle der Sahne nahm ich „Kaffeeweißer“ und als Ersatz für die Kapern ein wenig Zitronensäure aus der Plastikflasche. So dankbare Esser hatte ich selten. Als das elfköpfige Katastrophenteam zur Mittagspause erschien, überhäuften sie mich mit Lob und schlugen mir vor, die Küche in den nächsten Tagen zu übernehmen. Endlich wurde ich gebraucht. Ich war glücklich.

Für den Abend desselben Tages hatte ich mir „chili con carne“ ohne Chili und ohne Carne vorgenommen. Tatsächlich hatte ich im Vorratslager ganz unten in einem der Pappkartons getrocknete weiße Bohnen gefunden. Ich kochte sie drei Stunden weich, fügte mehre Gläser „Tomatensauce mit Basilikum“ dazu, schüttete den Inhalt von zwei Päckchen „Knorr Instant Sauce Bolognese“ in die Bohnen und pfefferte, was das Zeug hielt. Als „carne“, was auf Deutsch immerhin „Fleisch“ heißt, zerschnippelte ich zwei Dutzend Bockwürste in kleine Würfel und briet sie scharf an.

In einer vom Tsunami besonders stark verwüsteten Ortschaft hatte ich Tage davor in einem gerade eben wieder eröffneten Straßenlokal ein herrlich gegartes Hühnchen in Kokosmilch und mit Kochbananen gegessen. Dazu eine Art Spinat mit Chili-Schoten. Zum Nachtisch hatte eine alte Frau auf einem Wok Crèpes aus Reismehl gebacken. Im Straßengraben fand ich später eine aufgerissene Packung „Red Beans“ mit der Aufschrift: „A gift from the people of USA“. Jemand hatte den Inhalt offenbar schon probiert – und weggeschmissen.

Fragen zu Thunfisch? kolumne@taz.de Morgen: Matthias Urbachs PERFEKTER KAUF