PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Lass mich rein, lass mich raus
Oskar ist nur einmal aus der SPD ausgetreten. Ich bin’s schon zweimal. Ätsch
Zum ersten Mal tat ich es mit 18. Es war furchtbar aufregend und ich weiß noch, wie ich zitterte, als ich ihn reintat. Den Brief in den Kasten. Adressiert an den „Parteivorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Helmut Schmidt, persönlich“. Ob der damalige Bundeskanzler und SPD-Chef meine Parteiaustrittserklärung jemals gelesen hat, weiß ich nicht. Jedenfalls bekam ich nie eine Antwort darauf, obwohl ich auf zwei Seiten begründete, warum ich nicht länger Mitglied der SPD sein wollte. Wenn ich mich recht erinnere, trat ich aus Protest gegen eine U-Boot-Lieferung an Indonesien aus. Das mag aus heutiger Sicht verwundern, aber vor 30 Jahren hatte man in dieser Partei noch Überzeugungen.
Dass ich nach diesem befreienden Schritt wenige Jahre später wieder in dieselbe Partei eintrat, ist mir zwar etwas schleierhaft und kann ich mir nur so erklären, dass ich mir damals sagte: Du musst eintreten, um irgendwann wieder austreten zu können. Andererseits: Wer nur von außen zusieht und meckert, der kann nie etwas verändern. Man muss mit Parteien also ähnlich verfahren, wie der Filmemacher Herbert Achternbusch mit dem von ihm so ungeliebten Bayern verfährt: Er bleibt, hat er einmal gesagt, dort so lange wohnen, bis man es dieser Landschaft anmerkt.
Gerne kündige ich auch Zeitungsabonnements unter Protest. Es gibt kaum etwas Befriedigenderes, als in einem geharnischten Brief an die Chefredaktion einzelne Artikel oder noch besser die ganze Linie des Blattes zu kritisieren und das Schreiben mit dem Satz zu beenden: „… kündige ich deswegen mein langjähriges Abonnement.“ Ich stelle mir dann immer vor, wie sie eine Krisensitzung einberufen und Besserung geloben. Die Umstände meines zweiten Austritts aus der SPD sind mir nur noch verschwommen in Erinnerung. Sie liegen auch schon wieder gut zehn Jahre zurück und hatten mit dem Kölner Klüngel zu tun. Ich, damals Bewohner von Köln, ahnte wohl schon (lange vor dem Müllskandal), dass mit dieser Partei am Rhein irgendetwas nicht stimmte, und gab, gewissermaßen hellseherisch, mein Parteibuch aus einem Gefühl des Unwohlseins zurück.
Oskar Lafontaine brauchte 39 Jahre dazu. Dann aber mit Gedöns. So, wie Möllemann aus der FDP austrat mit lautem Trara. Ich habe einmal miterlebt, wie dreißig Genossen auf einen Schlag ihre Parteibücher bei einer Versammlung im Nebenzimmer einer Waldgaststätte auf den Tisch knallten. Da war was los. Austreten ist wie auf den Tisch kacken. Selten geht einer leise und vielleicht beschämt über den eigenen Irrtum. Nein, es muss laut sein und krachen. Für viele ist der Austritt der Höhepunkt in ihrer Mitgliedschaft. Endlich nimmt man sie wahr.
Auf einer Internetseite der in China verbotenen Falun-Gong-Bewegung las ich kürzlich, dass man beim Austritt aus der Kommunistischen Partei Chinas unbedingt auf sein „Xingxing“ achten muss (www.minghui.de). „Xingxing“ bedeute so viel wie „Qualität des Herzens“. Ich weiß nicht genau, was damit gemeint ist, bin aber derselben Meinung. Denn mit Verstand haben Parteiaustritte in aller Regel wenig zu tun. Auch Lafontaine trat wegen „Xingxing“ aus.
Heute bin ich nur noch zahlendes Mitglied in zwei Vereinen: der Arbeiterwohlfahrt und der Gesellschaft für bedrohte Völker. Mir gefallen allein schon diese Namen. Arbeiterwohlfahrt – das klingt so nostalgisch wie Bahnwärterhäuschen oder Schullandheim. Bis vor kurzem bekam ich noch jedes Jahr ein Märkchen zugeschickt, das ich dann mit der Zunge hinten befeuchtete und in mein Mitgliedsbuch klebte wie seinerzeit die Rabatt-Märkchen von Kaiser’s Kaffeegeschäft. Leider haben sie das abgeschafft. Und dass man sich nicht nur um bedrohte Mitmenschen, sondern gleich um ganze bedrohte Völker kümmert, das finde ich in Zeiten, wo keiner mehr Zeit hat, sehr arbeitsökonomisch.
Der Mensch, sage ich mir manchmal, ist ein soziales Wesen und braucht, wenn er schon nicht mehr Mitglied in einer Kirche ist, wenigstens einen Verein, in dem er sich heimisch fühlt. Kürzlich erzählte mir ein Freund, er sei Mitglied im „Verein bayerischer Einzelpaddler“. Das gefiel mir gut. Ein Verein quasi für Vereinsmuffel. Bevor ich zum dritten Mal in die SPD eintrete, würde ich wohl eher dort Mitglied werden wollen.
Austreten? Eintreten? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried CHARTS