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Archiv-Artikel

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH Die Kultur des Abgangs

Vom Millionär zum Tellerwäscher – das wäre der einfachere Weg. Aber wer will das schon?

Memento mori – bedenke dein Ende. Ist nicht der Abgang von der Bühne die viel schwierigere Übung? Auftreten ist einfach: rauf und Vorhang auf. Aber wie kommt man da wieder runter, vor allem wenn es nicht ganz so gut gelaufen ist? Alle schauen zu. Im Textheft steht: „Verbeugung und ab“. Wenn es nur so einfach wäre.

Wer einmal wer gewesen ist, will nie mehr niemand sein. Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder am Wahlabend darauf bestand, Bundeskanzler von Deutschland zu bleiben, obwohl er gerade abgewählt worden war, kann ich menschlich sehr gut verstehen. Bergauf wandern ist viel schöner; den Gipfel vor Augen; von oben die Aussicht genießen. Unten im Tal ist es dunkel. Wenn Schröder es nicht vorher schon war, so hat das Amt ihn deformiert. Jeder Chef wird nach kurzem ein Krüppel. Ein Chef kann immer nur Chef bleiben: „C’est la déformation professionelle“, sagt der Franzose. Oder wie Erich Honecker es einmal formulierte: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“

Es ist schließlich tausendmal einfacher, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden, als umgekehrt. Was eigentlich theoretisch viel einfacher ginge. Konjunktiv eben. Als Häuptling sich wieder in den Indianerstamm einzuordnen ist dem Menschen nicht in die Wiege gelegt. Er strebt immer nach Höherem.

Mit einem abgewählten Kanzler ist offenbar nichts mehr anzufangen. Der taugt nicht einmal mehr zum Minister. Nicht zumutbar, heißt es. Wenn einer mal Kanzler war, dann später unter einer anderen Kanzlerin noch arbeiten? Nicht zumutbar. Da kommt die Menschenwürde ins Spiel. Die Vorstellung zum Beispiel, dass der gelernte Karosserieschlosser Jürgen Schrempp, nachdem er als Vorstandsvorsitzender der DaimlerChrysler AG vom Aufsichtsrat entlassen wird, wieder in die Werkstatt geht und den Schraubenschlüssel in die Hand nimmt, ist so ungeheuerlich, wie wenn ein deutscher Bundeskanzler nach seiner Abwahl wieder als – sagen wir – Lehrer in eine Schule ginge und dort Deutsch und katholische Religion unterrichtete. Undenkbar. Selbst Außenminister ist, so erfahren wir nun, ein als zu gering geachteter Posten für einen abgetretenen Regierungschef. Schröder kann eigentlich nur noch Papst werden, ist aber nicht katholisch. Oder Generalsekretär der UNO (dafür spricht er zu schlecht Englisch). Also wird er Frührentner.

In Uganda, um den Blick einmal etwas zu weiten, haben sie diesbezüglich eine sehr viel ausgefeiltere Kultur des Abgangs entwickelt. Dort wird ein Staatenlenker von seinem Nachfolger mit der Pistole abgesetzt und dann ins Ausland verjagt. Er stirbt im Exil an Altersschwäche und bekommt nach seinem Tod ein Staatsbegräbnis. Der Diktator und Massenmörder Apollo Obote, Nachfolger von Idi Amin, wird in den nächsten Tagen aus Sambia in einem pompösen Sarg in seine Heimat Uganda überführt, wo er bis zu seinem Tod noch per Haftbefehl zur Festnahme ausgeschrieben war. So macht man das mit Stil.

Zurück an die Spree: Was wird aus ihm? Was ist aus den anderen geworden? Helmut Schmidt, Bill Clinton, Michail Gorbatschow – sie haben nichts Anständiges mehr geleistet nach ihrem Amtsverlust, sofern man nicht das Schreiben von Memoiren oder das Herumreisen als Vortragsredner als vollwertige Arbeit ansieht. Helmut Kohl war wenigstens schon im Rentenalter.

Ich hatte mir einmal in jungen Jahren geschworen, nie ein Auto zu kaufen, das weniger PS hat als das vorherige. Das hat zwei Jahrzehnte sehr gut funktioniert, bis mir das Geld ausging oder, um es politisch korrekter auszudrücken, mich jemand davon überzeugte, dass es ökologischer Schwachsinn sei, mit 220 PS über die Autobahn zu rasen. Der letzte Wagen hatte dann tatsächlich 50 PS weniger. Aber um ehrlich zu bleiben: Auto fahren macht seither nicht mehr so viel Spaß.

Fragen zum Abstieg? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS