PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Melancholie vorm Tunnelloch
Suworow ist vergessen, Zündapp ist vergessen und der Gotthard ist auch bald vergessen
Würde die Natur, was sie bitte lassen möge, mir noch ein Kindlein schenken, ich würde mich dieses Mal mit der Namensgebung durchsetzen. Zündapp soll es heißen, egal ob Junge oder Mädchen, und als Kompromiss käme allenfalls Kreidler, Herkules oder Maico in Frage. Ich konnte mich beim letzten Mal mit Micky Mausshardt nicht durchsetzen, darum wäre ich jetzt dran. Zündapp! Was für ein Klang! Nach frischer Luft, nach abgefrorenen Fingern und nach Kurven voller Sehnsucht.
Als ich mit meinem Zündapp-Roller das erste und letzte Mal über den Gotthard-Pass fuhr, war ich siebzehn und dabei, eine große Wette zu gewinnen. Mit dem Roller (Höchstgeschwindigkeit 40 Stundenkilometer), hatte ich behauptet, sei es möglich die Strecke Reutlingen – Genua – Marseille – Paris – Reutlingen in sieben Tagen zu schaffen. Ich benötigte für die 3.500 Kilometer dann sogar nur sechs Tage, aber frage mich keiner wie. Die fünf Mark, die ich als Wetteinsatz gewann, taten jedenfalls noch wochenlang am Hintern weh.
Was ich eigentlich sagen wollte: damals der Gotthard-Pass. Hoch und mächtig. Ich hatte sogar Zeit, kurz an der Teufelsbrücke anzuhalten und mich am Denkmal für den russischen General Suworow zu wundern, wer hier alles schon drüber machte. Suworow hatte sich ganz in der Nähe Ende des 18. Jahrhunderts mit den Franzosen gekabbelt.
Suworow ist vergessen, Zündapp ist vergessen und bald ist der Gotthard auch vergessen. In wenigen Jahren wird kein vernünftiger Mensch mehr über den Pass fahren, wie auch heute schon die meisten den Autotunnel nehmen. Im Jahre 2015 wird der mit 57 Kilometern längste Tunnel der Welt fertig sein, und die Hochgeschwindigkeitszüge werden die Alpen im Erdgeschoss durchqueren – in nur zehn Minuten. Vor ein paar Wochen stand ich mitten im Fels, dort wo sich die Tunnelbohrmaschinen Meter um Meter in den harten Gneis fressen. So ein Tunnelbohrmaschinchen gibt es natürlich nicht im Baumarkt um die Ecke: 400 Meter lang und die Kraft eines ICE-Triebwagens. Arbeiter sieht man kaum welche. Die Maschinen machen das fast ganz allein. Etwa in der Mitte des Tunnels wird ein Bahnhof entstehen. Man setzt sich also in Stuttgart, Mailand oder Zürich in den Zug, steigt wenig später schon wieder aus und fährt mit einem Aufzug 800 Meter hinauf in die Schweizer Bergwelt.
Zukunft, mir graut vor dir.
Die Alpen ähneln immer mehr einem Emmentaler: Überall wird gebohrt. Im Grunde sind diese Berge heute nichts anders mehr als ein Ärgernis. Sie behindern den freien Warenverkehr, und weil man sie nicht sprengen kann, werden sie durchbohrt. Von Süd nach Nord und von West nach Ost.
Ein anderer großer zurzeit gebauter Tunnel soll Lyon im Rhônetal mit Turin verbinden. Eigentlich sollten auch dort die Arbeiten in zwölf Jahren fertig sein, doch wie man jetzt anlässlich der Olympischen Spiele in Turin erfahren konnte, wehren sich ein paar Bewohner im abgelegenen Susatal hartnäckig gegen ihre Anbindung an die Welt. Römische Politiker trauen sich nicht mehr in das enge Tal, weil die rabiaten Bewohner ihnen Prügel angedroht haben, und nun ruht nach heftigen, teilweise gewalttätigen Protesten erst einmal die Arbeit am Tunnel. Einem ganz gewieften Alpenöhmi aus dem Susatal wäre es beinahe gelungen, die olympische Fackel mit einem Wasserstrahl zu löschen, als sie ganz in der Nähe der Tunnelbaustelle vorüber getragen wurde. Schließlich erreichte die Fackel nur unter massivem Polizeischutz das olympische Dorf bei Turin.
Zündapp dagegen steht für Frieden und Freiheit. Mich hat mein Motorroller in den entscheidenden Jahren zwischen 15 und 18 jedenfalls mehr geprägt als Schule, Elternhaus und das Che-Guevara-Plakat in meinem Zimmer. Man kann überall hinkommen, man muss es nur wollen. Das ist die Zündapp-Botschaft, die bis heute gilt, auch wenn die Firma schon lange bankrott ist.
Am Tag der Einweihung des Gotthard-Basistunnels werde ich oben auf dem Pass stehen und ein kleines Zündapp-Denkmal setzen.
Fragen zur Zündapp? kolumne@taz.de Montag: Martin Reichert über LANDMÄNNER