PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Ja, wenn Makumbo erzählt …
Ich kehre die Blätter im Hof noch mit dem Besen zusammen. Und ich weiß, dass ich mich damit lächerlich mache
Die Blätter sind in diesem Herbst sehr viel später von den Bäumen gefallen als in den vergangenen Jahren. Es lag wohl an der ungewöhnlichen Wärme der Jahreszeit. Jeder Blinde kann mir das Blinde bestätigen. Man hört den Herbst nämlich inzwischen viel besser als dass man ihn sieht.
Beim ersten Mal vor einigen Jahren dachte ich noch, welcher Idiot mäht denn im November seinen Rasen? Bis dann ein Hausmeister in blauem Overall mit einem umgehängten Staubsauger um die Ecke kam und alle Blätter vor sich her trieb wie ein Schäfer seine Herde. Er machte einen unbeschreiblichen Lärm und in einer Wolke aus aufgewirbeltem Feinstaub verschwand er wieder um die nächste Ecke.
Ich war beeindruckt.
Es war natürlich kein Staubsauger, sondern sah nur so aus. Genaugenommen war es wohl das Gegenteil. Aber ich hatte keinen Namen für das Ding und weiß auch bis heute nicht, wie man dazu sagt. Ich wüsste also nicht einmal, wie ich im Baumarkt danach fragen sollte.
„Führen Sie Blätterbläser?“ vielleicht. Oder Sauberwirbler? Wahrscheinlich heißen die Maschinen „Stihl Herbststurm RX 200“ oder ähnlich. Jedenfalls sind sie mit einiger Sicherheit eine deutsche Erfindung, wahrscheinlich sogar eine schwäbische. So wie ja auch der Dampfstrahler ganz in der Nähe von Stuttgart erfunden wurde: In Winnenden von der Firma Kärcher. In Frankreich ist „kärchern“ in den Wortschatz übernommen worden, weil die Franzosen dafür noch keinen Begriff hatten. Ich „kärcher“ dich! („Je vais te kärcher!“) gilt bei unseren Nachbarn als ernsthafte Drohung.
Mittlerweile gehört das Laubblasen zu den typischen Herbstgeräuschen unserer Stadt. Kaum sind die bunt gefärbten Blätter still und leise zu Boden geschwebt, kommen die Männer in ihren orangefarbenen Jacken und mit Ohrenschützern auf dem Kopf und pusten mit ihren Maschinen alles, was sich nicht festhält, davon.
Im Schweizer Kanton Tessin kam mir in einem der letzten Herbste auf einer Wanderung durch den Wald zwischen den Ortschaften Rasa und Verdasio ein schwarzhäutiger Mann entgegen mit einem Blätterbläser auf dem Rücken. Ich erwähne das deswegen so detailliert, weil ich fürchte, dass man mir nicht glaubt. Aber dieser Mann blies tatsächlich im Wald den Wanderweg von Blättern frei. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich würde es ja selbst nicht glauben.
Im nächsten Dorf erkundigte ich mich und erfuhr, dass man Asylbewerber mit dieser Arbeit beauftragt habe, um sie sinnvoll zu beschäftigen. Seither versuche ich mir vorzustellen, wie dieser Mann nach seiner Rückkehr nach Afrika vor der Rundhütte sitzt und das ganze Dorf hört ihm zu, was er aus Europa erzählt. Ich höre das Gelächter seines Stammes und der Häuptling bittet immer wieder: „Makumbo, erzähl uns noch einmal die Geschichte von den Blättern im Wald aus der Schweiz.“ Makumbo, oder wie immer er hießt, wird seine Geschichte wieder und wieder erzählen und ein kleiner Junge wird ihn fragen: „Makumbo, musstest du in Europa auch das Meer ausschöpfen?“
Nein, wird er sagen, das nicht. Aber die Bewohner dort im Norden können mit ihren Händen nichts anderes mehr tun, als auf Knöpfe und Schalter drücken. Nicht einmal das Brot können sie mehr schneiden. Sie gehen zum Bäcker und lassen ihr Brot von einer Maschine in Scheiben schneiden. Und wenn ein Wasserhahn tropft, holen sie einen Spezialisten.
Heute Morgen habe ich die Blätter meiner Glyzinie mit einem alten Reisigbesen zusammengefegt. Der ganze Innenhof war voll davon und selbst in den Ritzen der Terrassenplatten hat sich diese Saubande festgesetzt. Aber mein Reisigbesen hat sie alle erwischt. Ich kam mir sehr altmodisch dabei vor. Wahrscheinlich habe ich mich vor den Augen meiner Nachbarn lächerlich gemacht. Aber das „scht, scht, scht“ des Besens war wirklich ein sehr schönes Geräusch.
Fotohinweis: PHILIPP MAUSSHARDT KLATSCH Fragen zu Kärcher kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über CHARTS