piwik no script img

Archiv-Artikel

PETER UNFRIEDNEUE ÖKOS Wenn die Ruhe unser Gast ist

Die Katze (Folge II): Eine gemeinsame Familien-Tischkultur ist offenbar wichtig für die Zukunft der Kinder. Deshalb essen wir jetzt abends zusammen und sprechen miteinander. Schön ist das leider nicht

Wenn alle um den Tisch sitzen, die Servietten auf den Schenkeln liegen und die Ruhe unser Gast ist, dann nicke ich ernst, aber freundlich. Ich sage: „Lasst es euch schmecken, Kinder.“ Und dann essen wir zu Abend.

Neuerdings. Früher bekochte einer geistig abwesend die Kinder in der Küche. Während der andere sonst wo war. Dabei ist die gemeinsame Esskultur von enormer psychosozialer Bedeutung für die Kinder. Seit ich das in Cicero oder der Apotheken Umschau gelesen habe, knabbern wir abends gemeinsam an unseren Biomohrrüben und tauschen uns darüber aus, wie der Tag war („Okay“), ob es was in der Schule gab („Nö“), ob die Hausaufgaben gemacht sind („Krrxkrx.“ – „Was?“ – „Krpf.“). Dabei sind wir vollständig angezogen – keine Barcelona-Trikots, keine Jogginganzüge – und alle Mobiltelefone ausgeschaltet.

An Anfang versuchten die Kinder schleunigst wieder wegzukommen. Aber nicht mit mir. „Tischkultur ist so wichtig für eure Zukunft wie Chinesisch als zweite Fremdsprache“, sagte ich. Chinesisch ist essenziell für eine Weltmarktkarriere. Englisch braucht kein Mensch mehr, das sieht man ja an Oettinger.

Inzwischen übernehmen die Kinder aktiv die Unterhaltung, sind interessiert und engagiert. Und das ist das Problem. Weil: Die erste Frage ist immer dieselbe und kommt von Penelope. Sie lautet: „Wann kriegen wir eine Katze?“ Und dann geht es los. Katze oder Kater? Darf sie raus oder darf sie nicht raus? In welche Zimmer darf sie?

Auf keinen Fall dürfte sie in die Küche, das wissen die Kinder. In Penelopes Buch „300 Fragen zur Katze. Kompaktes Wissen von A–Z“ steht, dass Menschen bestimmte Zimmer als ihr Revier markieren könnten. Die Katze akzeptiere das. Penelope sagt, ich könne ja die Küche als „mein Revier markieren“. Ich weiß nicht, ob ich das möchte.

So habe ich mir jedenfalls unser ruhiges Familienessen nicht vorgestellt. Und mal abgesehen davon, dass ich sowieso keine Katze will, habe ich gelesen, dass ihr ökologischer Fußabdruck im Jahr fast dem eines VW Golf entspricht. Wer sich eine Katze anschaffen wolle, solle dafür seinen Golf abschaffen. Tja. Wir haben aber gar keinen Golf.

„Hört mal, was da steht, Kinder: Einen Hamster kriegt man schon im Tausch für einen energetisch ineffizienten Fernseher. Und einen Goldfisch gibt es für die Abschaffung eines Handys.“

– „Weißt du was?“ Adorno machte sein grimmiges Gesicht.

– „Ne. Was?“

– „Deine Witze habe ich noch nie lustig gefunden.“

Beide Kinder standen auf. „He“, schrie ich, „ich habe die Tafel noch nicht aufgehoben.“

Aber da war ich schon allein. Vielleicht ist es ja besser so.

Der Autor ist taz-Chefreporter. Foto: Anja Weber