PETER UNFRIED über CHARTS : Angelina Jolie sieht gut aus, aber …
Weniger Joschka Fischer, mehr Heidi Klum: Wie Deutschland gegen den schönen, leeren Schein kämpft
Und dann sagte er die verfluchten zwei Worte. „Angelina Jolie.“ Ich sah die Panik in den Gesichter-Charts der Frauen von null auf eins einsteigen. Wumm. Er sagte: „Angelina Jolie … hmhm … sieht gut aus, aber …“
Ehrlich gesagt: Ich habe dieses gute, alte „aber“ schon engagierter gehört. Aber ihre berufliche Qualifikation als Schauspielerin. Aber die Qualität ihrer Filme. Egal: Das Aber rettete diesen Paarabend und vielleicht ja unser Leben. Die Wahrheit stand tags drauf in der Berliner Zeitung. Jeder Mann, den er kenne, schrieb da ein Mann, wolle es mit Angelina Jolie machen. Es war aber die Kolumne eines „Single“. Was beweist, dass das „aber“ in solchen Angelina-Jolie-Gesprächen einzig dazu gut ist, den Partnerschaftsstatus des Sprechers zu definieren. Bzw. vielleicht auch nicht. Alles viel schlimmer! „Sieht gut aus, aber“ heißt in letzter Konsequenz: „Aber ich Wurst komme nicht an sie ran, verdammt.“
*
Ich habe diese wahre Geschichte bewusst ausgewählt, um zu unterstreichen, dass es in unserer Gesellschaft zu sehr um das Äußere geht. Um die Oberfläche. Das schöne Geschwätz und den leeren Schein. Manche denken ja, dieses Problem sei gelöst, seit Fischer und Schröder nicht mehr Kanzler sind. Ich fürchte, wenn überhaupt, dann höchstens für die beiden. Ein Indiz dafür ist Fischers unprätentiöses Ohrenmützchen, mit dem er neuerdings durch die in jeder Hinsicht kalte Berliner Republik schleicht. Wenn das keine Absage an das pompöse Scheinen und ein Bekenntnis zu Inhalten ist (hier: warmen Ohren), dann weiß ich auch nicht mehr.
Der Kampf gegen die Oberflächlichkeit ist jetzt Regierungsprogramm. Grade auch beim Feuilleton. Wem das wie ein Widerspruch in sich selbst vorkommt, muss damit leben. Jedenfalls hat sich Spiegel-Kulturchef Matthias Matussek persönlich zum Gespräch mit der TV-Moderatorin Heidi Klum begeben, um ihr dies und das ins Gesicht zu sagen. Zum Beispiel, dass nach Spiegel-Recherchen 90 Prozent der Männer aus 150 Ländern mit ihr „auf der Stelle gern geschlafen hätten“. Klum hielt das offenbar für ein Kompliment.
Die Diskussion um Klums TV-Casting-Show für Models wird meiner Meinung nach missverstanden: Es geht hier eben nicht um die Frage, ob wir auf Äußerlichkeiten fixiert sind oder auf zu dürre Äußerlichkeiten. Nein. Es geht auch nicht um die Scheinheiligkeit des Boulevards, die Gesundheit der Frauen oder die Abscheu vor den Standards unserer Modebranche oder Männer. Das Entsetzen der Mittelschicht über die dürren Frauen speist sich aus der Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg, dem Rückfall in die Hungerjahre nach dem II. Weltkrieg, als es kein Mc Donald’s gab und unsere armen Kinder nicht fett, sondern spindeldürr waren.
Eine Absage an die Unkultur der Äußerlichkeit ist übrigens von Klum nicht zu bekommen. Im Gegenteil. Klum verteidigt die Oberfläche und damit letztlich die Lüge in der Welt, an die ihre Jünger glauben: „Wir wollen ihnen ja auch nicht die Wahrheit erzählen, wie ich zu Hause aussehe, wenn ich mir die Sachen vom Gesicht spachtel.“
Weil sie die Wahrheit verweigert, weiß man nicht, was schlimmer ist: das Beharren auf die Illusion als Wert. Oder Klum abgespachelt. Allerdings sollte man bei allem Kampf für Inhalte nicht unterschätzen, dass eine gut gespachelte Karikatur einer Frau in dem Streit der Religionen und Kulturen – falls die Zahlen stimmen – tatsächlich eine Mehrheitsreligion sein könnte. Eine neue Weltreligion. Ich meine: 90 Prozent Zustimmung in 150 Ländern! Das schafft nicht mal Angela Merkel. Klum könnte die heilige Liebe sein, die den Planeten einende Fruchtbarkeitsgöttin. Präsentiert von McDonald’s. Konsequent zu Ende gedacht, wäre sie Mutter Erde, und damit wären WIR Deutsche Mutter Erde. Das ist doch auch ein Wert. Und noch besser als Papst.
Die Charts im Februar.
Buch: Die Memoiren meiner Frau – Joseph von Westphalen.
Song: Ring of Fire – Johnny Cash.
Fußball: Bernhard Peters.
Frau: Meine Frau.
Fragen zum Aber? kolumne@taz.de MORGEN: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS