piwik no script img

Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS Steh auf, wenn du für Deutschland bist!

Kapiert es, ihr Alten! Für postideologische WM-Konsumenten ist Deutschland kein Land, sondern ein Fußballteam

Für unser deutsches WM-Feuilleton ist die Sache gerade noch mal gut gegangen: Nachdem der geistig umtriebige Spiegel-Kulturbanausenchef Matussek für Deutschland ist, bei der WM und überhaupt, kann und muss der Rest mit dem üblichen guten Gewissen dagegen sein, wenn er etwas auf sich hält. Das verlangt die Berufsehre. Bald werden also die großen Serien beginnen, wie problematisch diese Fußball-WM ist, wie sie nervt in ihrer Omnipräsenz, Unterkomplexität und ihrem gefährlichen Nationalismus. Und wie sie den Blick verhüllt auf die wirklich wichtigen Dinge des Lebens, etwa diese kleine, liebevoll gemachte internationale Ausstellung im Hinterhof von Blablabla.

Verlassen wir schnell diesen staubigen Nebenplatz und wenden wir den Blick dahin, wo es gilt – in die Mitte der Gesellschaft. Gerade sprach ich mit einer Frau in den mittleren Dreißigern (sieht aber jünger aus), die auf Nachfrage sagte, sie sei selbstverständlich für Deutschland. Sie hat leicht reden: Ihre Eltern waren keine Nazis, bloß CDU-Wähler, ihr Landesvater war nicht NSDAP-Kiesinger, sondern Super-Lothar Späth, und das größte Trauma ihrer Kindheit war BAP, aber das wird ihr auch erst langsam klar.

Alte, wie ich ja selbst einer bin, müssen sich klar machen, dass „Deutschland“ für die Jüngeren nicht notwendigerweise etwas ist, was alle Verbrechen seit Jesu Kreuzigung beinhaltet. Deutschland ist die Bezeichnung für ein Fußballteam. Wer für Deutschland ist, drückt nicht notwendigerweise seine Heimatliebe aus oder seine Verarbeitung der deutschen Vergangenheit oder seine Bereitschaft als Teil der Volksgemeinschaft an der gemeinsamen Zukunft zu arbeiten. Er unterstützt zunächst eine Fußballmannschaft bei einem internationalen Turnier. Genau so, wie er in der Bundesliga den FC Bayern unterstützt, ohne für Stoiber zu sein, oder den VfL Wolfsburg, ohne die geplanten Arbeitsplatzvernichtungen von VW abzusegnen.

Man muss allerdings sehen, dass es zwei Schulen der Fußballklub-Unterstützung gibt. Die konservativ-klassische Schule sagt, man könne sich seinen Klub nicht aussuchen, sondern werde als dessen Fan geboren. Diedrich Diederichsen hat dieses Modell bereits 1990 auf das Deutschland-Fantum übertragen („My country right or wrong“) – eine unlockere Antwort darauf, dass die meisten Linken damals noch bemüht euphorisch für Kamerun schwärmten. Die progressive Schule (also ich) hat aber bewiesen, dass man sich seinen Klub sehr wohl aussuchen kann, und zwar nach praktischen Erwägungen (Entfernung, Familienfreundlichkeit, ICE-Anschluss) sowie man sich ja – unter gewissen Voraussetzungen – einen Lebens- oder GV-Partner auch aus praktischen Erwägungen raussuchen kann (Haarfarbe, Doktortitel, Führerschein). Speziell innerhalb der EU muss es selbstverständlich werden, dass man sich auch das Land aussucht, in dem man leben möchte (z. B. wegen Steuersatz, Klima, Haarfarbe der Frauen). Dies zu Ende gedacht, könnte man sich auch ein Land raussuchen, um dort zu leben, weil es eine ansprechende Nationalmannschaft hat. Sagen wir: Frankreich. Oder England. Oder Portugal. Das muss schon drin sein, wenn Europa eines Tages funktionieren soll.

Das wird aber auch der größte Fußballenthusiast nicht machen. Nicht aus patriotischen Gründen, sondern aus praktischen. Es ist so: Eine Fußball-WM ist nur alle vier Jahre. Da lohnt sich der Aufriss einfach nicht.

Der jüngere, 1968 und 1978 verpasst habende Fußballfreund ist zuvorderst Unterstützer eines Klubs. Und die Nationalmannschaft unterstützt er, weil die Bundesliga pausiert und bei der gottverdammten WM sein Klub nicht mitspielt. Es gibt übrigens auch ehemalige Straßenkämpfer, die es genauso halten.

Ganz wichtig ist Folgendes: Der Trend geht zum Zweitteam. Der postideologische Deutschlandunterstützer wird nach dem Aus im Achtelfinale nicht in Depression versinken, sondern fröhlich das nächste Team (nicht: Land) unterstützen. Also: Mach dich locker, Alter. Steh auf, wenn du für Deutschland bist! Und dann setz dich wieder.

Gewissensfragen? kolumne@taz.de Morgen: Adrienne Woltersdorf OVERSEAS