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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Der Zauber der Inkonsequenz

Letztes Jahr waren meine Kinder noch glücklich mit einem klimaoptimierten Inlandsurlaub. Warum verdammt wollen sie diesmal nach Kalifornien fliegen? Da gibt’s nicht mal Zwergkaninchen

Seit Tagen schleichen die Kinder um mich rum. Hier ein Stöhnen. Da ein Seufzen. Das ist sonst definitiv nicht ihre Art. Irgendwas läuft da.

„Was’n los mit euch?“ – „Ooch, ni-hichts.“ Na umso besser.

Doch dann erwische ich sie, wie sie am Computer sitzen und auf der Website goldengatebridge.org das Bild der Live-Webcam anstarren. Die Uhr zeigt 4.40 Uhr Ortszeit San Francisco. Entsprechend dunkel ist es. Man sieht praktisch nichts.

„Was macht ihr denn da, Leute?“ – „Wir müssen unbedingt wieder nach Kalifornien zur schönen Golden Gate Britsch“, säuseln sie. Schöne Golden Gate? „Ich dachte, das sei eine – ich zitiere – scheißneblige Brücke.“

Sie tun empört. Dabei weiß ich ganz genau, dass sie anlässlich der letzten drei von unseren vier Besuchen dort gegähnt haben und nur noch unter heftigstem Protest mitgegangen sind.

Wir machten ja dann letzten Sommer nicht mehr Urlaub in Kalifornien, sondern fuhren mit dem Auto in die Ökowelthauptstadt Freiburg. Wodurch sie nicht nur den Interkontinentalflug vermieden, sondern auch die Golden Gate Bridge.

In Freiburg hatten sie ein Haus mit Zwergkaninchen. Und bekanntlich ist nichts wichtiger als Zwergkaninchen. In unserer Stadtwohnung im vierten Stock haben sie keine, und das ist die allergrößte Schweinerei. Sie können dreihundert Fragen zum Zwergkaninchen beantworten. Sie haben eine Bibliothek für Zwergkaninchen-Literatur gegründet. „Zwergkaninchen“ ist das Wort, das ich mit Abstand am häufigsten höre. Weit vor „Angelina Jolie“ und „Lionel Messi“. Manchmal fürchte ich, was den 68ern die unaufgearbeitete Vergangenheit der Eltern war, wird unseren Kindern eines Tages die Zwergkaninchenverweigerung sein.

„Ja, wollt ihr denn nicht nach Freiburg in ein Haus mit knuffigen Zwergkaninchen?“, frage ich also. Och, nö, wollen sie nicht. Sie sagen, sie wollen surfen. Sie wollten nie surfen.

„Ich dachte, der Pazifik ist euch zu kalt.“ Sie können sich nicht erinnern. „Und was ist mit den 16 Tonnen CO2 pro Nase für den Flug?“ – „Pfffff.“

In so einer Situation helfen nur getrennte und stundenlange Einzelverhöre unter verschärften Bedingungen. Irgendwann wird dann eine weich und gesteht. Also: Es ist so, dass wir in Freiburg nicht nur Zwergkaninchen hatten, sondern auch Katzen. Und die Katzen hatten Flöhe. Und wir hatten dann auch alle Flöhe. (Ich erspare Ihnen die Einzelheiten.)

Nun steht Freiburg nicht mehr für Urlaub mit Zwergkaninchen oder Solarschiff oder Zu-Fuß-zum-Bioladen, sondern für Urlaub mit Flöhen. Und Kalifornien steht für Urlaub ohne Flöhe.

Grade haben sie in der Schule einen Fragebogen ausgefüllt. Und was antworteten sie auf die Frage „Was würdest du gerne an der Welt ändern?“ Sie schrieben: „Keine Umweltverschmutzung mehr.“ Ich hätte fast geweint. Und nun wollen sie nach Kalifornien, weil es da keine Flöhe hat.

Es gibt da so ein Gefühl, das ist halb im Bauch und halb im Kopf. Meiner Erfahrung nach ist es mit das Beste, was so auf dem Markt ist. Ich glaube, das ist Glück.

Hach, denke ich: Meine Kinder!

Es ist ja wohl eindeutig: Sie sind genauso inkonsequent wie ich.

■ Der Autor ist ab August taz-Chefreporter Foto: Anja Weber