piwik no script img

Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS „Tag, Frau Krielinger-Schmid“

Ist doch das Mindeste, dass Adorno die Direktorin im Bewerbungsgespräch mit Namen anredet. Oder?

Leider reicht ja ein Eins-Komma-Zeugnis in Berlin lange nicht für eine weiterführende humanistische Bildungsanstalt. Und Adorno war ansonsten gerade mal Vegetarier und linker Verteidiger. Aber er rettete weder den Regenwald noch war er Schultheaterregisseur. Der konnte ja nicht mal Klavier. Ich schrieb in die Bewerbung, die es für die Schule braucht, dass er eigeninitiativ eine AG „Fleischfrei“ gründen (soziale Verantwortung) und Sänger in der Schulband werden wolle (kulturelle Dimension). Das Problem: Unterwegs zum Gespräch musste ich ihn einweihen. Adorno war sofort alarmiert: „Ich gründe keine AG und Sänger werde ich schon gar nicht.“

„Das ist mir doch egal“, sagte ich. „Wichtig ist, dass du es im Bewerbungsgespräch behauptest.“

„Niemals.“

„Und das Allerwichtigste ist, dass du der Direktorin bei der Begrüßung lächelnd in die Augen schaust. Und dann sagst du: Guten Tag, Frau Krielinger-Schmid.“

„Heißt die so?“

„Ihr Problem. Du sagst: Guten Tag, Frau Krielinger-Schmid.“

„Reicht nicht ‚hallo‘?“

„Nein, du sagst: Guten Tag, Frau Krielinger-Schmid.“

„Ich sage nicht: Guten Tag, Frau Krielinger-Schmid.“

Jetzt wurde sogar ich langsam sauer. „Das ist doch das Mindeste, was ein sozial und kulturell engagierter zukünftiger Humanist draufhaben muss. Dass er seine Direktorin mit ihrem verdammten Namen anspricht.“ „Ich will auch nicht Sänger werden.“ Ich merkte, dass er wirklich Angst hatte. „Mann, vergiss das, konzentrier dich auf den Namen“, sagte ich. Wie war der gleich noch? Gott sei Dank hatte ich ihn auf einen Zettel geschrieben und den Zettel sogar in die Hosentasche gesteckt. Manchmal war ich echt genial.

„Sie heißt Krielinger-Schmid.“ Adorno kriegte jetzt die pampige Stimme, mit der er seine Angst in Wut verwandelt. „Ich will kein Sänger in einer Band sein, und wenn sie mich fragt, sage ich ihr das auch.“

„Das sagst du ihr nicht.“ Schweigen. „Hast du dir ihren Namen gemerkt? Du sagst: Guten Tag, Frau Krielinger-Schmid. Mit fester Stimme, aber locker. Und du schaust nicht an die Decke, sondern ihr ins Gesicht.“

Als wir ins Zimmer reingingen, sagte ich mit meinem falschesten Lächeln: „Guten Tag, Frau Krielinger-Schmid. Schön, Sie endlich kennenzulernen.“

Adorno murmelte: „Hmhm.“ Sein Blick hing an der Decke.

Weil seine Karriere als Rocksänger dann aber nicht zur Sprache kam, lief es einigermaßen. Jedenfalls bis zu dem Moment, da wir schon wieder Richtung Tür gingen. Wir waren fast raus, da sagte Frau Krielinger-Schmid: „Übrigens, Adorno?“

Wir drehten uns noch mal um, und er piepste: „Ja?“ Gudrun Krielinger-Schmid lächelte und sagte: „Die Band zählt auf dich.“

Ich schob ihn schnell aus der Tür. Es war das Letzte, was ich in diesem Leben machte.

Der Autor ist Chefreporter der taz Foto: Anja Weber