PARTYRAUM DES GRAUENS : Jazz und Metal
„Als wenn sich Kontinentalplatten verschieben“, brüllt mir mein Nachbar ins Ohr und lacht hysterisch. Ich bin verunsichert, wer gruseliger ist: der überdrehte Kollege neben mir oder Single Unit, Schlagzeuger der norwegischen Avantgarde-Speedmetal-Combo Killl, der über seinen schratigen blonden Vollbart hinweg irre mit den Augen rollt. Alles nur Show. Auch wenn sein minutenlanges gleichmäßiges Stakkatotrommeln den meisten Schlagwerkern die Augen aus den Höhlen treiben würde. Aber Single Unit ist halt der beste Drummer der Welt. Nicht nur mit der Band Jaga Jazzist, bei denen er sich wie die drei anderen Killler den Unterhalt verdient. Während mir der irdische Vergleich zu lapidar erscheint, versucht mein Schädel immer noch Tempo aufzunehmen. Ohne Erfolg. Das Schlagzeug wird mittlerweile über ein Kaoss Pad getriggert. Meint: noch schneller als bei den beiden vorherigen Konzerten von Killler. Ich zügle mich. Bring meine Beine wieder ins Spiel. Mein Becken. Ich amüsiere mich über mich selbst und konzentriere mich verzweifelt auf sogenannte langsamere Strukturen in dem so wundervoll vertrackten Lärm. Plötzlich schnappe ich hier einen Balkanriff auf, dort galoppiert Cowgirl mit hässlicher Fratze auf einem schwarzen Bullen daher. Ein brutaler, mit so viel Liebe zum Detail produzierter Sound, der rückt die Sonic Youth und Helmet dieser Welt in die Ecke, in die sie voller Respekt gehören: tolle Popmusik. Aber das hier ist Metal. Das ist Jazz. Wahrer Jazz. Mein Kopf schüttelt sich immer noch, obwohl der Sound schon weitergezogen ist. Mehr als ein Dutzend Stroboskope bespielen derweil die Op-Art-Inszenierung des Künstlers Kyrrelys, lassen die Wände wackeln und die Bühne zu einem Partyraum des Grauens werden, der inmitten des Berghains vibriert. Nach 40 Minuten ist es vorbei. Mehr geht nicht. Bei niemandem. So ein Mist. MEIKE JANSEN