Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Katzen kommen in Zeichentrickfilmen selten gut weg. Dumm, faul und hinterhältig sind sie da meist und machen irgendeiner Heldenmaus das Leben furchtbar schwer. In der nach einem Kinderroman von Luis Sepulveda entstandenen italienischen Produktion „Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte“ (1999) ist das anders. Na gut, faul sind Zorbas und seine reichlich träge gewordenen Freunde zunächst auch. Als sie jedoch das Vermächtnis einer sterbenden Möwenmutter erfüllen wollen, ihr Ei ausbrüten und dem kindlichen Federvieh statt es zu fressen auch noch das Fliegen beibringen wollen, kehrt ihr alter Schwung zurück. Ganz nebenbei gelingt es ihnen auch noch zu verhindern, dass böse Ratten die Macht in ihrer Hafenstadt übernehmen. Ohne dass sein Film dabei zum öden Thesendrama verkommt, erzählt Regisseur Enzo d’Alò gekonnt diese Geschichte von der Toleranz gegenüber den anderen – ganz und gar kindgerecht und in einem wunderhübschen Bilderbuchstil.
Etwas thesenhafter gibt sich da der sowjetische Kinderfilm „Die Schneekönigin“, den Gennadi Kasanki 1966 nach Motiven von Hans Christian Andersen drehte. Die Geschichte vom kleinen Kay, dessen Herz von der bösen Schneekönigin in einen Eisklumpen verwandelt wird, inszeniert Kasanki als antikapitalistische Parabel, in der kaltherzige Geldgier die Beschaulichkeit des Lebens friedlicher Werktätiger bedroht. Der Clou des Films ist die fantastisch-wilde Mischung aus Real-, Puppen- und Zeichentrickfilm, welche die märchenhaften Elemente der Handlung deutlich herausstellt: Bei lebendigen Tintenfässern und kindshoch sprechenden Raben kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Surrealer Agit-Prop-Pop für Kinder.
Ob man auch das in der aufwändigen Stop-Motion-Technik erstellte Puppentrick-Werk „Tim Burton’s Corpse Bride“ als Kinderfilm ansehen möchte, liegt wohl im Auge des Betrachters. Oder besser gesagt: an der psychischen Belastbarkeit des jeweiligen Kindes. Immerhin geht es in der Geschichte vom schüchternen Victor, der anstelle der reizend stupsnäsigen Victoria versehentlich die ebenfalls charmante, aber leider mausetote und schon leicht vor sich hin faulende Emily ehelicht, um Nekrophilie, Beinahe-Bigamie, Zombies und Mord – um bloß einmal einige der verhandelten Themen zu nennen. Denn „Gothic Horror“, fantastische Handlungselemente, skurrile Charaktere à la Charles Dickens sowie ein erfreulich makabrer Humor sind nun einmal die typischen Markenzeichen von Tim Burton, der hier gemeinsam mit Mike Johnson Regie führte. Das Abgründige ist jedoch ganz unschuldig und herzallerliebst erzählt, und das Jenseits erweist sich entgegen landläufiger Vorstellungen als ziemlich fröhlicher Ort, wo im Wortsinne die Puppen tanzen und zur flotten Musik von Danny Elfman swingen. Dass die Gefühlsregungen der Puppen dank einer neuen Mechanik zudem so ausdrucksstark modelliert wurden wie kaum jemals zuvor, macht „Corpse Bride“ im Übrigen bei allem Humor zum wirklich ergreifenden Drama. LARS PENNING