Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Wie schlecht Popmusik wirklich sein kann, zeigt uns Jahr für Jahr der Eurovision Song Contest. Den gewann in diesem Jahr eine finnische Karnevalstruppe mit einer Hard-Rock-Travestie, was an dieser Stelle für eine elegante Überleitung zu den Leningrad Cowboys sorgt, die ja ebenfalls aus Finnland stammen und sich zur schlechtesten Rock-’n’-Roll Band der Welt stilisiert haben. In „Leningrad Cowboys Go America“ inszeniert Aki Kaurismäki, Finnlands bester Regisseur, gewohnt lakonisch einen Trip der finnischen Polka-Rocker ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo sich die Herren mit den gewaltigen Haartollen und den spitzen Schuhen beste Karrierechancen ausrechnen, weil man dort angeblich jeden Mist kauft. Es geht um die Ähnlichkeit des amerikanischen Mittelwestens mit der finnischen Tundra, darum, wie Jim Jarmusch den Cowboys einen Cadillac verkauft, um Rock-’n’-Roll (der anhand von Standardliteratur erlernt wird) und natürlich um Dosenbier. Ein absurd-komisches Roadmovie, das viel über die Liebe der Finnen zur amerikanischen Zeichen-Popkultur erzählt.
Noch einmal Rock-’n’-Roll, allerdings von einer deutlich weniger komischen Seite aus betrachtet: „Gimme Shelter“ dokumentiert Ereignisse einer US-Tournee der Rolling Stones im Jahr 1969, zu der auch das berüchtigte Konzert in Altamont nahe San Francisco gehörte, bei dem als Ordnungskräfte beschäftigte Hell’s Angels vor der laufenden Kamera einen jungen Schwarzen erstachen. Die Filmemacher Albert und David Maysles, zwei der bekanntesten Vertreter des Direct Cinema, filmen das totale Chaos rund um die Organisation des Konzerts und den Auftritt der Stones und konfrontieren diese im Schneideraum mit dem Material vom Mord: Die Love-&-Peace-Ära endet in Gewalt, Hilflosigkeit und Verwirrung.
Sprotte (Michelle von Treuberg) ist genau in jenem Alter, in dem Mädchen gerade noch Sprotte gerufen werden können, ohne dass es albern wirkt. Momentan macht sie mit ihrer Mädchengang „Die Wilden Hühner“ die Gegend unsicher und findet Jungs blöd – doch in einem halben Jahr dürfte das wohl schon ganz anders sein. Das Kinder- und Jugendkino hat von jeher gern Geschichten aus dieser Phase des Übergangs erzählt: Die Entwicklung der Charaktere ergibt sich ganz von allein. Glücklicherweise schlagen sich Sprotte und ihre Kameraden nicht mit verrückten Erfindern und tollpatschigen Schurken herum (wie so oft im deutschen Kinderfilm), sondern mit lebensnahen Problemen, die ihnen von egoistischen Erwachsenen aufgebürdet werden: Da will etwa Sprottes Oma die Hühner schlachten lassen, mit denen sich das tierliebe Mädchen angefreundet hat, die Mutter (Veronica Ferres) redet davon, nach Amerika auszuwandern, eine Freundin muss dauernd auf die kleineren Geschwister aufpassen, und ein Schulkamerad hat einen prügelnden Vater. Dass diese Mischung aus Kindheitsabenteuern und realistischem Hintergrund nicht ganz aufgeht, liegt letztlich nur am dem Drang der Regisseurin Vivian Naefe, ständig alles verbal erklären zu wollen. Lars Penning