ÖSTERREICH: HAIDER SCHEUT SICH, DIE FREIHEITLICHEN WIEDER ZU FÜHREN : Erst Kärnten, dann erneut an die Spitze
Monatelang hatte Jörg Haider den Vorsitzenden seiner Freiheitlichen Partei, Herbert Haupt, gedrängt, den Chefsessel endlich frei zu machen. Spätestens im Herbst wollte der Rechtspopulist die FPÖ wieder selbst übernehmen. Doch nach dem desaströsen Abschneiden seiner Leute in Oberösterreich und Tirol, wo fast ein Viertel der Wahlberechtigten lebt, ist der große Sprücheklopfer plötzlich kleinlaut geworden und will sich zu keiner öffentlichen Bewertung der Stimmverluste äußern.
Zweite Konsequenz: Haider wird sich hüten, den Scherbenhaufen zu übernehmen, den dreieinhalb Jahre Regierung an der Seite der Konservativen von der ÖVP hinterlassen haben. Die FPÖ braucht momentan einen Mann mit hoher Leidensfähigkeit, sind sich – offen oder nicht – ihre politischen Gegner und auch viele eigene Funktionäre sicher. Dafür ist der derzeitige Parteichef Haupt genau der Richtige. Andere FPÖler wollen hingegen möglichst schnell wieder Haider an der Spitze sehen. Doch der gibt vor, den Ruf dieser verzweifelten Funktionäre nicht zu hören. Er will vielmehr erst von Kärnten aus zur Gegenoffensive starten. Gestern begann sein dortiger Landtagswahlkampf. Schlechter als derzeit kann es kaum werden – bis zum Urnengang im März hat Haider wenigstens viel Zeit, seine Partei wieder auf Vordermann zu bringen.
Die Leistungsbilanz von vier Jahren Landeshauptmann Haider ist bescheiden. Das südlichste Bundesland ist Schlusslicht bei Lohnniveau und Kaufkraft geblieben. Um etwas zu werden, braucht man zwar kein Parteibuch mehr, doch mit dem Landeschef befreundet sein sollte man schon. Jörg Haider hat sich immer schon gut verkauft, doch die 42 Prozent von den Landtagswahlen 1999 wird er kaum nochmals erreichen. Dennoch würde es ihm reichen, die stärkste Partei vor den Sozialdemokraten zu bleiben. Misslingt ihm das, dann wird es nicht nur eng für ihn, sondern auch für die Koalition auf Bundesebene.
Haider wäre nämlich auf die Kärntner ÖVP angewiesen, um Landeshauptmann zu bleiben. Dieser Landesverband schließt so etwas derzeit aus. Haider hätte dann keine Veranlassung mehr, sich an der Regierungskoalition in Wien zu beteiligen. Seit die FPÖ mitregiert und dabei die unpopulären Entscheidungen der ÖVP mittragen muss, verliert sie an Glaubwürdigkeit und Wählerstimmen. Siegt Haider aber in Kärnten, wird er auch wieder Obmann werden und Herbert Haupt als Vizekanzler ersetzen wollen – durch einen Mann seines vollen Vertrauens, der FPÖ-Anliegen besser durchsetzt. Beide Varianten müssen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel in Wien zutiefst beunruhigen.
RALF LEONHARD