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Archiv-Artikel

OSZE-KONFERENZ GEGEN ANTISEMITISMUS IN BERLIN IST EIN ERFOLG Lob der Datensammlung

Von OSZE-Konferenzen sind in aller Regel keine neuen Erkenntnisse zu erwarten. Dennoch war die Berliner Konferenz gegen Antisemitismus wichtig. Und zwar nicht nur, weil die Ächtung des Antisemitismus in der Schlusserklärung begrüßenswert deutlich ausgedrückt wurde. Wesentlicher, weil von praktischem Wert, sind zwei Punkte: die Bekundung, Bildungsprogramme gegen Antisemitismus aufzulegen, und der Wille, alle verfügbaren Daten über antisemitische Übergriffe von Portugal bis Armenien zu sammeln und auszuwerten.

Dies mag papiern klingen, ist aber von zentraler Bedeutung für die Europäische Union. Denn kaum ein Thema ist derartig von Verleugnungen geprägt wie der Antisemitismus. Verlässliche Fakten sind die Voraussetzung, um Druck auf Regierungen auszuüben. Zudem leidet die Antisemitismusdebatte in Europa unter einer Meinungsfreude, die in beklagenswertem Gegensatz zu einer eher unsicheren Faktenlage steht. Kurzum: eine Situation, die zu Projektionen einlädt.

Gesicherte empirische Daten sind gerade mit Blick auf die die EU-Osterweiterung wichtig. Die Region zwischen Stettin und Riga steht bei manchen im Westen unter dem Generalverdacht, antisemitisch zu sein. Wenn man eine west-östliche Diskursblockade nach dem Muster „pauschaler Antisemitismusverdacht versus den pauschalen Vorwurf, dass ‚der Westen‘ die Unterdrückung Osteuropas bis 1989 ignoriert“ verhindern will, helfen nur Tatsachen. Wie kompliziert diese Debatte wird, hat der Streit zwischen Salomon Korn und der lettischen EU-Beauftragten Sandra Kalniete wohl nur angedeutet.

Allerdings reicht der Plan, antisemitische Übergriffe zentral in Warschau bei einer OSZE-Organisation zu dokumentieren, nicht aus. Ebenso wesentlich wären wissenschaftliche Umfragen, die der Verbreitung antisemitischer Vorurteile und Stereotype auf den Grund gehen. Dies ist ein weitgehend brachliegendes Feld – für das Baltikum existieren solche Untersuchungen zum Beispiel nicht. Ohne empirische Daten wird eine rationale, möglichst wenig von Vorurteilen überwölbte Debatte in Europa noch schwieriger.

STEFAN REINECKE