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Archiv-Artikel

ORTSTERMIN Claus Strunz im Hotel Interconti

Viel Pelz hängt an der Garderobe, der braune Teppich auf dem Weg zum Festsaal des Hotels Interconti ist beeindruckend tief. „Herzlich eingeladen“ war ich zum Vortrag des neuen Abendblatt-Chefs Claus Strunz. Thema „Die Zukunft der Zeitung – Gold, Silber oder Tod?“. Die Dame, die beim Wirtschaftsrat der Hamburger CDU die Terminbestätigung entgegen nahm, war eher grantig als herzlich. „Es gibt erst ein Essen. Das ist bei uns immer so.“

Im Saal sind lauter große runde Tische gedeckt, an denen an die 200 ältere Herrschaften sitzen. Den Einlass in diese andere Welt bezahle ich mit Smalltalk. Die taz, wie interessant, die sei ja das Salz in der Mediensuppe.

Der Vortrag beginnt, Claus Strunz entführt die Zuhörer in seine die Welt, lässt sie seine Sorgen teilen. Die Zeitungsbranche sei von „großem Pessimismus“ erfasst. Drei Thesen habe er im Oktober bei Antritt seines Postens gehört: Junge Leute lesen keine Zeitung. Online-Medien ziehen den Printmedien den Stecker raus. Und der Online Auftritt einer Zeitung ließe sich nicht monetarisieren. Alle drei seien falsch.

Jeden morgen stehe er früh auf, um an einer Schule eine Leseecke einzuweihen, die das Abendblatt spendiert. Und es zeige sich, dass die jungen Leute, „das glamouröse Medium“ zu schätzen wüssten. Auch den Online-Auftritt hat der frühere Bams-Chef umgemodelt. Alle Print-Ressortleiter sind jetzt auch für Online verantwortlich. Exklusivgeschichten werden noch am Tag ins Netz gestellt und müssen für die gedruckte Ausgabe mit neuem Aspekt versehen werden. Das „Schwungrad im Medienbetrieb“ wird täglich zwei Mal angeworfen.

Klingt anstrengend, doch die Sache hat sich laut Strunz gelohnt. Fünf Millionen Besucher habe abendblatt.de, die Zeitung lesen so viele wie noch nie. „Wir spielen den Laden voll.“ Wie der monetäre Nutzen daraus zu ziehen sei, sei Sache des Verlags. Dem brechen gerade bei den Stellenanzeigen Erlöse weg. Aber schließlich habe es mit der Los Angeles Times jetzt erstmals eine Zeitung geschafft, mit dem Online-Auftritt die Redaktion zu finanzieren.

Strunz Visionen haben etwas Aufdringliches. Er spricht von „Mischdienstleistungen“, die man dem Leser anbieten wolle, etwa Restaurant- oder Theaterplätze buchen, „und am besten liefern wir ihnen die Tickets auch noch in Haus“. Morgens die Printausgabe in den Händen, tagsüber am Bildschirm hängen, so sieht der Alltag von Strunz’ Lesern aus. Nur ab 17.30 Uhr, wenn sie zu Hause Fernsehen schauen, seien sie „unerreichbar“. Eventuell, so eine Idee des Blattmachers, gibt es für die 100.000 Pendler bald eine Abendausgabe im Kleinformat für den Zug.

Wo das Abendblatt politisch stehe, will ein Zuhörer wissen. Sein Blatt sei nicht zahnlos, äußere sich konstruktiv, kritisch, antwortet der Chefredakteur. Gerade erst sei er aus dem Umfeld des Bürgermeisters als „unpatriotisch“ getadelt worden, weil er das Nein Niedersachsens gegen die Elbvertiefung auf den Titel setzte.

Und dem „Prime Thema Schulpolitik“ habe er eine tägliche Seite eingerichtet. Nicht ohne Wirkung, wie der Neu-Hamburger weiß: „Weil es dieses Diskussionsforum gibt, hat Frau Goetsch umdenken müssen. Hat sie einen anderen Zeitplan.“

Der Fisch kommt. Gedünstet mit matschigen Nudeln und einer Spur von Spinat. Wieder Smalltalk, Versuch einer Diskussion. Ist das Abendblatt nicht schon allgegenwärtig? Müssen wir nicht die Pressevielfalt in der Stadt zu fördern? „Nö“, sagt der Tischnachbar. „Die Zeitungen, die wir haben, sind für Hamburg genug.“ KAIJA KUTTER