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Archiv-Artikel

ORTSTERMIN: KOPTISCHES WEIHNACHTSFEST IN AHLTEN Gottesdienst unter Polizeischutz

Kurioser könnte die Wahl des Anschlagsziels kaum anmuten: die schummrige, vereiste Hauptstraße im Lehrter Vorort Ahlten ist kaum als solche zu erkennen. Die innen zwar prunkvoll mit Ikonen, Kerzen und Weihnachtsdeko hergerichtete Kirche St. Theresia versprüht von außen den Charme eines Hallenbades aus den 60ern. Dort findet am Donnerstagabend die Weihnachtsmesse der Koptischen Gemeinde der Region statt. Im Kalender orthodoxer Kirchen wie der Kopten fällt das Fest stets auf den 6. Januar.

Nach den blutigen Attentaten auf ägyptische Christen in der Neujahrsnacht scheint der Hass auf christliche Minderheiten von Alexandria aus weltweit wieder aufzuflackern, Terrorwarnungen gab es auch in Deutschland im Vorfeld des orthodoxen Feiertags. Auch die koptische Gemeinde in Lehrte habe konkrete Anschlagsdrohungen erhalten, wie die Polizeidirektion Hannover am Dienstag bestätigte. Selbst für Exilchristen eine Ausnahmesituation – das Fest der Liebe unter Polizeischutz.

Doch Said Basta Badres, Vorsteher der Lehrter Koptengemeinde, hat keine Angst. Er empfinde vielmehr große Trauer für seine ermordeten Glaubensbrüder und -schwestern, sagt er. Und will den christlichen Feiertag deswegen umso friedfertiger und besinnlicher begehen. So sehen es auch viele aus der Gemeinde – und zahlreiche Gäste, die sich von den Drohungen nicht schrecken lassen. Da sind auch die CDU-Bundestagsabgeordnete und Kirchenbeauftragte Maria Flachsbarth, sowie Vertreter von Kirchen aus der Region und vom Bistum Hildesheim, die mit ihrer Anwesenheit ihre Solidarität mit den ägyptischen Christen bekunden.

Die Ansprache von Badres klingt weniger nach Weihnachtsmesse als nach einer politischen Agenda. „Wir fordern die Abschaffung des Paragraphen 2 der Ägyptischen Verfassung“, sagt er. „Angemessene Vertretung der christlichen Minderheit im Parlament, Strafen für die Mörder, nicht nach der Scharia.“

Vor der Tür steht ein Polizeiwagen, alle halbe Stunde steigen zwei Beamte aus, die gerade alt genug aussehen, um an der Tankstelle Alkopops zu bekommen, und drehen eine Runde um die Kirche. Ansonsten: friedliche Ereignislosigkeit. Ein etwa 15-jähriger Messdiener mit Flaum auf der Oberlippe rappt seine Gesangseinlage herunter: „… von unseren Sü-hü-nden befrei-hei-en … .“ Dann wird das Vaterunser mit dem rollernden Akzent eines Saals voller Arabisch-Muttersprachler intoniert. Die komplexe Liturgie – ein Hantieren mit zahllosen glitzernden Kerzen, Kelchen, Tüchern – ist wie ein Algorithmus, eine Ordnung, an der man sich festhalten kann.

Doch auch wegen der Menge hochrangiger Gäste, die eine Menge Reden halten, dauert die Messe gut doppelt so lang wie üblich. Unter den Lehrter Kopten sind viele, die ihr Land allein wegen ihrer religiösen Überzeugungen haben verlassen müssen. Flucht und Exil sind die unterschwelligen Themen des Abends, die Analogie zum intoleranten Christenmörder Herodes aus den Evangelien wird nicht nur einmal gezogen. In voller Würdenträger-Montur spricht Bischof Schwertfeger zur Gemeinde, es sind gut 60 Personen in der Kirche versammelt. Hinterher weiß niemand, was genau er gesagt hat, aber es klang salbungsvoll, beschwichtigend, fast narkotisierend. Aber vielleicht war es auch nur der Weihrauch.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Flachsbarth wirkt mit ihrem Landfrauencharme seltsam deplatziert in der Ansammlung orientalischer Herren. „Liebe Mitchristinnen und Mitchristen“, holpert sie und kann es offenbar kaum fassen, dass in Deutschland Katholiken bedroht werden. Sie werde mit dem Bundesfraktionsvorsitzenden Volker Kauder nach Kairo reisen, um sich einen Eindruck von der Lage der ägyptischen Christen zu verschaffen. Sie verstärkt die Botschaft, dass es hier um Politik noch viel mehr als um Religionsfreiheit geht.

Unter Beschuss ist die Gemeinde indessen nur von den Fotografen. Die Pressevertreter – ohnehin nicht mit der nötigen Geduld für drei Stunden Weihrauchdünste ausgestattet, haben sich zum Kaffee in die Sakristei verzogen. Im Anschluss an die Messe sagt ein Gemeindemitglied, störend habe er eigentlich nur das Kameraklicken empfunden. ANWEN ROBERTS