OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Zu Jean-Louis Barrault fällt einem als Erstes stets seine wohl berühmteste Rolle als tragischer Pantomime Debureau in „Kinder des Olymp“ (1945) ein. In dem noch während der deutschen Okkupation gedrehten romantischen Melodram verliebt sich der schüchterne Debureau unsterblich in die schöne Garance (Arletty), die er bei einer Begegnung auf dem Boulevard du Crime, der Pariser Theaterstraße des 19. Jahrhunderts, kennenlernt. Doch diverse unglückliche Liebschaften der Protagonisten verhindern, dass die beiden wirklich zusammenfinden. Regisseur Marcel Carné und Drehbuchautor Jacques Prévert erzählen dabei mit grandioser Geste, aber nicht ohne ironischen Humor, vom Leben als große Bühne. Wer Barrault einmal ganz anders erleben möchte, dem sei hingegen seine Zusammenarbeit mit Carné und Prévert in „Drôle de Drame“ (Ein sonderbarer Fall) aus dem Jahr 1937 anempfohlen: Hier verkörpert der Mime einen in seinem Redeschwall nicht zu stoppenden Massenmörder, der es ausschließlich auf Metzger abgesehen hat. Hauptfigur der absurden Groteske ist allerdings ein renommierter Botaniker (Michel Simon), der unter Pseudonym Krimis verfasst und es mit dem vermeintlichen Mord an seiner Frau sowie einem Kommissar zu tun bekommt, der seine Fälle im Schlaf löst.
Als Reinhold Schünzels „Viktor und Viktoria“ Ende 1933 in die Kinos kam, konnte man durchaus von einer gewissen Subversivität der frechen Musikkomödie im nunmehr faschistischen Deutschland sprechen. Verkörperte Renate Müller hier doch eine arbeitslose Schauspielerin, die für einen erkrankten Kollegen in einer Travestienummer einspringt und alsbald sowohl von wissenden wie von unwissenden Verehrern beiderlei Geschlechts umschwärmt wird. Ganz wohl ist ihr bei der Verwirrung der Geschlechter allerdings nicht: „Ich muss Whisky trinken und Hosen tragen und dummen Frauen was Liebes sagen“, kommentiert sie ihre Rolle als Mann und wählt am Ende statt Theaterkarriere lieber das private Glück.
Wer die Luis-Buñuel-Retrospektive der Berlinale verpasst hat (oder einfach nicht genug kriegt), bekommt mit einer Reihe der surrealistischen Spätwerke des Regisseurs im Lichtblick und Moviemento noch einen Nachschlag: In „Die Milchstraße“ (1969) attackiert Buñuel einmal mehr die Irrtümer der katholischen Kirche, indem er zwei Pilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela auf satirische Weise mit ketzerischen Ereignissen aus der Kirchengeschichte konfrontiert. Und da wird dann auch schon einmal ein Unsinn redender Pfarrer in die Klapsmühle gebracht. „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972) und „Das Gespenst der Freiheit“ (1974) demontieren hingegen vor allem die Wertvorstellungen der Bourgeoisie, die übrigens durchaus auch den Kindern der Armen beigebracht werden, wie Buñuel in seiner 1932 entstandenen Dokumentation „Las Hurdes“ (1932) zeigt: Inmitten des Elends eines der ärmsten Landstriche Spaniens in der Gegend zwischen Cáceres und Salamanca lernen die Schüler nämlich vor allem eines: das Eigentum der Reichen zu respektieren. LARS PENNING
„Les enfants du paradis – Kinder des Olymp“ (OmeU), 25. 2., Arsenal; „Drôle de Drame – Ein sonderbarer Fall“ (OmU), 23. 2., Arsenal
„Viktor und Viktoria“, 21. 2., Arsenal
„Der diskrete Charme …“, 23./24. 2., Lichtblick, 25.–27. 2., Moviemento; „Gespenst …“, 21./23.–27. 2., Lichtblick, 22. 2., Moviemento; „Milchstraße“, 21./23./24. 2., Moviemento; „Las Hurdes“, 22. 2., Arsenal