OBSTLER IM GASTHAUS FIGL, GARAGEN IN PRENZLAUER BERG, SEKT VOR MITTERNACHT UND EIS ESSEN IM FREIEN : Ansprüche um halb vier
VON FRANZISKA SEYBOLDT
Am Wochenende soll also endlich der Frühling kommen. Weil wir aber gar nicht mehr wissen, wie der sich anfühlt, sitzen wir am Freitagabend vorsichtshalber im Gasthaus Figl in der Urbanstraße. Da ist es warm. Es gibt Stoffservietten und Bier und Pizza mit Blutwurst, wir sprechen über gutbürgerliches Essen und dann über den Tatort, vermutlich muss man das hier. Hauptsächlich lästern wir über Simone Thomalla, die ja wohl schlimmer ist als Til Schweiger und von der ein Bekannter letztens auf Twitter schrieb, sie habe Poren so groß wie seine Einzimmerwohnung. A. findet das gemein, aber nur bis sie erfährt, dass Simone Thomalla sich für den Playboy ausgezogen hat und mit Silvio Heinevetter zusammen ist, von dem J. sagt, der sei dumm wie Brot. Bevor wir gehen, trinken wir an der dunklen holzvertäfelten Bar noch einen Obstler. Nur N. trinkt Espresso. Aber er hatte ja auch beim Essen als Einziger Wein, sagt D.
Im Adler in der Pannierstraße bringt uns dann der Sohn von Atze Schröder Bier. Er hat einen superkrassen blonden Afro, weshalb D. uns erzählt, wie der typische brandenburgische Anmachspruch geht: „Was hast du denn für ’ne Scheißfrisur?“ Finden wir hart. Außer F., die aus Ostwestfalen kommt. Sie sagt, dort sei das größte Kompliment: „Du bist gar nicht so verkehrt.“ Aber eigentlich reden die Ostwestfalen eher gar nicht. Vor allem nicht mit Zugezogenen. Wenn man nach einem Jahr zu einer Garageneinweihung eingeladen wird, hat man alles erreicht, sagt F. Vielleicht hat sie es auch in dem Buch von Jörg Sundermeier gelesen, egal. Jedenfalls sitzt man dann schweigend auf einem Bierkasten, trinkt ihn aus und geht heim. Beinahe finde ich es schade, dass es in Prenzlauer Berg keine Garagen gibt. Wobei, eigentlich hätte ich ja lieber einen Balkon. Später gehen F. und ich noch Pommes essen. Als ich mich darüber beschwere, dass sie total versalzen sind, sagt F.: „Nachts um halb vier keine Ansprüche stellen.“ Ich denke darüber nach, mir den Spruch eintätowieren zu lassen, aber dann gehe ich lieber schlafen.
Am Samstag feiert M. im Kvartira Geburtstag. Die Party heißt „Niemand will alleine heulen“, weil M. an Silvester damit schlechte Erfahrungen gemacht hat. Während wir darauf warten, dass es Mitternacht wird und den Sekt trinken, der eigentlich zum Anstoßen um 12 gedacht war, führen wir tiefsinnige Gespräche. Bilanz des letzten Jahres ziehen, Wünsche fürs neue und so. „Mann, ich hoffe ja, dass ich endlich auch mal Falten bekomme“, sagt M. und dann zu mir: „So wie du.“ U. lacht sich schlapp, dabei hat er viel mehr Falten als ich. Ich bin beleidigt, aber dann sagt M.: „Lachfalten heißen, dass man ein gutes Leben hat.“ Was sie sich noch wünscht, wollen wir wissen. „Abnehmen“, sagt M. „Ehrlich, ich hab ja am Anfang gedacht, die meinen mich mit dem neuen Slogan, von wegen die taz wird dick und gemütlich.“
Um 12 gibt es Schnaps und wir singen „Wie schön, dass du geboren bist“, und dafür, dass vorher alle behauptet haben, kein bisschen textsicher zu sein, klappt es ziemlich gut. Ich schenke M. eine Kette, die sie sofort anzieht. „Wenn ich reich bin, wirst du meine Stylistin“, sagt M. zum Abschied.
Am Sonntag ist der Frühling dann wirklich da. Während alle Menschen draußen Eis essen, besuche ich meine Eltern. Fünfeinhalb Stunden Zugfahrt. Weil ich morgens beim Packen langsamer bin als die U2, fahre ich hungrig und zu dick angezogen zum Bahnhof. Ich plane, mir im Zug wenigstens ein Gesicht zu malen, lese dann aber doch nur im neuen Buch von Sibylle Berg. Die Menschen sind alle böse, gemein und es gibt keine Liebe. Beinahe muss ich weinen.
Da hält der Zug an irgendeinem Bahnhof, direkt vor einem knutschenden Pärchen. Der Frühling ist da.