Normalzeit : HELMUT HÖGE über den Bürgerkrieg
„Das Leben, das legen die sich so aus: Die Eierstöcke sind die größten Philosophen“ (G. Benn)
In der Französischen Revolution rang man um „Egalité“, um Gleichheit. Vom Direktorium enttäuscht gründete Gracchus Babeuf gar eine „Verschwörung der Gleichen“. Zwar entwickelte sich dann mit der ökonomischen Herrschaft der Bourgeoisie eher die Ungleichheit. Aber mit den zwei russischen Revolutionen geriet Gleichheit erneut aufs Programm. Dieses wurde im Westen mit dem Sozialstaat sukzessive zu einer „Gesellschaft der Ähnlichen“ fortentwickelt.
Auch davon hat man sich nun in Europa verabschiedet. Wenn deutsche Eltern ihre Kinder aus ausländerdominierten Schulen nehmen, weil sie in den „guten Schulen“ mehr für ihre spätere Karriere mitbekommen; wenn Eltern aus „Problembezirken“ in „bessere Wohngegenden“ ziehen, wenn mit Hartz IV zigtausende Sozialhilfeempfänger in billige Plattenbauwohnungen umgesetzt werden (die übrigens inzwischen großenteils US-Immobilienfonds gehören), dadurch ganze Arbeitslosenviertel als „soziale Brennpunkte“ entstehen – und auf der anderen Seite immer mehr „gated communities“ für Reiche … Wenn also diese „Entmischung“ der Bevölkerung anhält und sich sogar noch weiter ausfächert – bis hin zu „Gehaltsspreizungen“, die selbst Belegschaften in tarifentlohnte Festangestellte und unterbezahlte Zeitarbeiter spaltet – dann entsteht eine „Gesellschaft der Ungleichheit“, deren Schichten der Staat mit seinen Sicherheitsleistungen nur noch separatistisch fixiert.
Betriebs- und familienegoistisch gedacht macht eine solche Apartheid Sinn, sozial gesehen wird jedoch im (statistischen) Endeffekt der Bürgerkrieg programmiert. Zumal es für die ganzen „Überflüssigen“ (Z. Baumann) heute kein „Neuland“ in Übersee mehr gibt, das im vorigen Jahrhundert immer wieder den Druck aus den (nationalen) Kesseln nahm. Bereits im Jahr 1992 gab BMW-Chef Eberhard von Kuenheim zu bedenken: „Wir sind gezwungen, unsere betriebswirtschaftlichen Probleme zulasten der Volkswirtschaft zu lösen.“
Dies trifft auch auf viele Intellektuelle zu, die sich einmal kommunistisch als „Tote auf Urlaub“ begriffen. Nun aber, indem sie heiraten, Kinder kriegen, ein Landhaus ausbauen, sich gesund ernähren, in Urlaub fahren und mit dem Rauchen aufhören, selber ihren „Wanst ständig in Schusshöhe tragen“, wie es im Zweiten Surrealistischen Manifest hieß. Sie halten die globalisierte Warenproduktion für der Weisheit letzten Schluss.
Die slowenische Philosophin Alenka Zupancic, die kürzlich in Berlin referierte, hat diese Verelendung infolge von Etablierung im Zusammenhang mit Kants „Ethik“, die immer mehr zur Legitimation dieser ganzen „Scheiße“ (Karl Marx) herhalten muss, herausgearbeitet: Die Ethik wird dabei etwas „im Kern Restriktives, eine Funktion“.
Möglich wird dies, indem man „jeder Erfindung oder Schöpfung des Guten entsagt und ganz im Gegenteil als höchstes Gut ein bereits fest Etabliertes oder Gegebenes annimmt (das Leben etwa) und Ethik als Erhaltung dieses Gutes definiert“.
Das Leben mag die Voraussetzung jeder Ausübung von Ethik sein. Aber wenn man aus dieser Voraussetzung das letzte Ziel der Ethik macht, ist Schluss mit der Ethik. Sie basiert nunmehr auf einer regelrechten Ideologie des Lebens.
Das Leben, sagt man uns, ist zu kurz und zu „kostbar“, um sich in die Verfolgung dieser oder jener „illusorischen“ Projekte verstricken zu lassen. Die Individuen müssen sich immer häufiger fragen lassen: Was hast du aus deinem Leben gemacht? Du hast zehn Jahre mit einer Sache verloren, die zu keinem greifbaren Ergebnis geführt hat? Du hast keine Nachkommen? Du bist nicht einmal berühmt? Wo sind denn die Ergebnisse deines Lebens? Bist du wenigstens glücklich? Nicht einmal das! Du rauchst?
Man wird nicht nur für sein Unglück verantwortlich gemacht, die Lage ist noch viel perverser: „Das Unglück wird zur Hauptquelle der Schuldigkeit, zum Zeichen dafür, dass wir nicht auf der Höhe dieses wunderbaren Lebens waren, das uns ‚geschenkt‘ worden ist. Man ist nicht etwa elend, weil man sich schuldig fühlt. Man ist schuldig, weil man sich elend fühlt. Das Unglück ist Folge eines moralischen Fehlers.“ Wenn du also moralisch sein willst, dann sei glücklich! Nein!!!