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Nord-Art in BüdelsdorfWeltreise im Hallenschiff

240 Künstler, 1.000 Werke auf 80.0000 Quadratmetern: Büdelsdorf in Schleswig-Holstein beherbergt "Nordeuropas größte jährliche Kunstausstellung".

Acht Hektar Außenfläche: im Skulpturenpark der Carlshütte. Bild: Nordart

BÜDELSDORF taz | Mit staksigen Schritten schiebt das Skelett seinen Rollator. Es schlurft in ausgetretenen Damenschuhen im Kreis, durch ein dickes Brillengestell starren Augen, nur angedeutet aus Drahtgewirr. Zusammen mit drei gleichartigen Wiedergängern bildet die Figur aus Rentierknochen, Abfall und Technik die bewegte Skulptur "Invalid Robots", erschaffen von der finnischen Künstlergruppe Isorättye, Teija & Pekka.

Etwas weiter: Aus einem bröckelnden Betonfundament ragt eine gewaltige, silbrige Faust - eine Arbeit des Chinesen Liu Bolin. Rundbäuchige Zwerginnen wiederum, Tina Schwichtenbergs "FrauenDeFormation" stehen Spalier.

An Fabrikmauern oder Stellwänden hängen großformatige Bilder, jeder Schritt auf dem zerschrammten Betonboden öffnet neue Blickwinkel in der gewaltigen Halle: Früher war die Carlshütte in Büdelsdorf bei Rendsburg eine Eisengießerei, heute beherbergt der Bau die "größte jährliche Kunstausstellung Nordeuropas".

l"Der Superlativ stammt gar nicht von uns", sagt Wolfgang Gramm, künstlerischer Geschäftsführer der "Nord Art". Aber dass sich in der Kleinstadt am Nord-Ostsee-Kanal aus kleinen Anfängen etwas Großes entwickelt hat, steht außer Frage. Beeindruckend sind schon die räumlichen Dimensionen: acht Hektar Außenfläche im Skulpturenpark, 22.000 Quadratmeter in der Halle.

Gramm spricht angesichts der Deckenhöhe der alten Fabrik von einem "Hallenschiff", das Künstler "gern bespielen dürfen, wenn sie es denn schaffen". Stellwände und Nischen, Kiesflächen und ein Grashügel dienen zur Unterteilung.

Neben schierer Größe bietet die "Nord Art" alle Jahre aufs Neue einen Überblick rund um die Welt. 1.400 Maler und Bildhauer aus rund 80 Ländern hatten sich für 2011 beworben, 240 lud die Jury ein, rund 1.000 Fotos, Gemälde, Installationen und Skulpturen sind nun zu sehen, sortiert nicht nach Ländern oder Themen, sondern so, sagt Gramm, "dass sie einen Bezug zueinander haben".

Erklärtermaßen will die Ausstellung sich "immer wieder neu erfinden", es gibt Raum für Experimente. So entsteht auf einer drei Wände umspannenden Leinwand "Europas größtes transportables Gemälde", an dem bis zum Herbst mehrere Maler arbeiten - sogar Besucher wirkten daran mit.

Neu ist, dass die "Orchesterakademie" des Schleswig-Holstein Musikfestivals, Ausbildungsstätte für 120 Nachwuchs-Musiker, auf dem Gelände arbeitet und öffentlich probt. "Die Zusammenarbeit mit dem Musikfestival ist ein Sprung", sagt Gramm.

Dass die Ausstellung von Jahr zu Jahr mehr Zulauf findet, freut den Geschäftsführer "natürlich", auch wenn es nicht immer so geplant war: "Wenn ich Hans-Julius Ahlmann von 20 Jahren gesagt hätte, was hier heute stattfindet, hätte der mich vom Hof gejagt."

Oder auch nicht: Ahlmann, geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens ACO und Sponsor der Nord Art, wirkt durchaus zufrieden. ACO ist ein Familienbetrieb, 1946 von Severin Ahlmann gegründet - ein Sohn Käte Ahlmanns, der letzten Geschäftsführerin der Carlshütte.

Man ist "Weltmarktführer für Entwässerungslösungen", hat Betriebe für Eisenguss und Hochbau, stattet Schweineställe aus und baut Krötentunnel. 3.500 Mitarbeiter weltweit, ein Jahresumsatz von 545 Millionen Euro - und eine Kunstausstellung.

Angefangen habe es mit Lesungen und Mini-Ausstellungen in den Büros der Firma, berichtet Ahlmann. Das anfängliche Anliegen: Die Beschäftigten sollten "noch kreativer werden". Inzwischen betreibt eine gemeinnützige GmbH, deren Partnerinnen neben ACO die Städte Büdelsdorf und Rendsburg sind, die Nord Art. "Wir bekommen Geld von verschiedenen öffentlichen Händen", sagt Ahlmann. Die Firma schießt zu, was fehlt, rund 250.000 Euro pro Jahr.

Das nächste Ziel ist, Kulturhauptstadt zu werden - gemeinsam mit Dänemark. "Eine Region über eine Staatsgrenze hinweg als Kulturhauptstadt, das gab es noch nie", sagt Ahlmanns Frau Juliane. Das Motto lautet "Countryside Metropolis", schon 2017 soll es soweit sein. "Klingt wie ein Traum, aber vielleicht klappt es."

Gramm gibt zu, dass es ohne die Ahlmanns und deren Spaß an der Sache nichts geworden wäre mit der Nord Art. Er selbst ist Grafiker, hat Künstlervereinigungen mitgegründet und das jüdische Museum in Rendsburg aufgebaut. Seine aus Estland stammende Frau Inga Aru, als Koordinatorin der Ausstellung angestellt, ist Malerin.

Weil die Nord Art eine Schau "von Künstlern für Künstler" sei, sei es nie schwer gewesen, Kollegen nach Büdelsdorf zu holen, sagt Gramm. Inzwischen ist die Ausstellung ein Selbstgänger geworden, muss die Jury auch Künstler ablehnen, die sie von der Qualität her nehmen würde.

Unter Künstlern habe man einen gewissen Ruf. "Es passiert, dass mich im Ausland Leute darauf ansprechen", sagt Gramm. In der weiteren Nachbarschaft, etwa in Hamburg, sei die Aufmerksamkeit dagegen nicht so hoch: "Da ich selbst Lübecker bin, spreche ich nicht von hanseatischem Größenwahn. Aber aus Sicht der Metropole scheint Schleswig-Holstein wenig zu bieten."

Um die Zukunft machen sich Gramm und Aru wenig Sorgen. Eines nur stört sie, gehen sie durch die Carlshütte mit all den Warnschildern an den Säulen, den angerosteten Geländern und dem unebenen Boden: "Es wird jedes Jahr sauberer und glatter."

Nord Art 2011: bis 2. Oktober, Kunstwerk Carlshütte, Büdelsdorf

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