: Niemandswalzer
POP Die Schweizerin Sophie Hunger stellte die Songs ihres ambitionierten Folk-Jazz-Albums „Monday’s Ghost“ im gut gefüllten Dot Club vor
Sauber. Professionell. Virtuos. Glatt. Und gut kopiert. Sophie Hunger kann singen, sie kann sehr gut singen, sie hat eine eindrucksvolle Stimme. Ihre Band besteht aus vier Männern, die ihr Handwerk gelernt haben. Sie sind professionelle, studierte Musiker. Sophie Hungers neues Album, das ihren Durchbruch markiert und ihr im Heimatland bereits Starstatus einbrachte, heißt „Monday’s Ghost“ und ist bei Universal Jazz erschienen. Sophie Hunger kommt aus der Schweiz. Sophie Hunger heißt natürlich nicht wirklich so. Aber fast. Sophie ist einer ihrer Vornamen und Hunger der Mädchenname ihrer Mutter.
Eine Schweizerin auf dem Weg zum Weltstar. Was macht die Qualität dieser Sängerin aus? Sie hat eine raue, dunkel gefärbte Stimme, die mit populären Konkurrentinnen von Simone White bis Anja Plaschg (Soap & Skin) mehr als mithalten kann. Sophie Hungers Musik tanzt auf den Grenzen ihres Genres – sie ist eben noch genug Jazzpop, um das Festival Montreux für sich einzunehmen und gut verdienende Akademiker zu ihrer Platte greifen zu lassen. Und lotet doch immer wieder diese Grenzen aus: Sei es durch die emotionale Kälte, die Hunger auch live, wie am Montag gut zu sehen war, gut verströmen kann. Sei es durch eine laut angeschlagene Gitarre, eine gewagte Komposition, unvermittelte Tempiwechsel, ein Liebäugeln mit Folk und Avantgarde.
Sophie Hungers Musik hat stets auch einen Schlag ins Traurige, und diesen Schlag braucht diese Musik, um nicht in Langeweile und Betulichkeit abzurutschen – virtuos vorgetragene Klänge dieser Art sind nämlich oft unerträglich vorhersehbar und glatt, was mitunter an der Virtuosität selbst liegt: Wenn jeder Ton getroffen wird, wenn jeder Ton so gespielt wird wie auf dem Notenblatt vorgezeichnet, dann kann auch nichts mehr überraschen. Zwischen Perfektion und Untergang passt manchmal nur ein Blatt.
Auch Sophie Hunger hat mit diesen Problemen zu kämpfen. Oft hängt sie eine Girlande zu viel an ihren Gesang, eben weil sie singen kann. Dann bleibt ein ausgehender i-Laut nicht einfach ein i-Laut wie am Ende des Worts lonely, sondern ein endlos gedehnter, noch fünfmal verbogener und ausgependelter i-Laut. Gleiches gilt für die Band: Die Posaune klingt oft lustig, weil der Posaunist sein Instrument gekonnt zum Sprechen und Grummeln bringen kann („Meine Posaune kann sprechen!“); im selben Moment klingt sie aber auch ausgestellt. Eine Fetischdeko.
Lediglich Bass und Schlagzeug halten sich am Montagabend im gut gefüllten Dot Club angenehm zurück und bringen das Satte und Treibende dann, wenn es gebraucht wird. Aber auch das Fragile der Folkstücke, oft mit Akustikgitarre und zweitem Gesang, manchmal auch mit Klavier vorgetragen, ist ein echtes Problem: So kann es Bob Dylan nicht gewollt haben.
Die Kargheit, die Arroganz der Stücke wirkt allzu künstlich, und das Emotionale dieser Lieder ist nicht viel mehr als eine perfekte Imitation, eine Simulation von Gefühlen. So klingt es in diesem Genre leider oft. Was auch daran liegen kann, dass sich Hungers Musik zu tieferen Gefühlen nicht traut: Ihre Traurigkeit bleibt eine bekömmliche, ins richtig Deprimierende der Trauer geht es nur selten (zum Vergleich mal „Third“ von Portishead hören). In Momenten traut sich Hunger wenigstens Dramatik zu („City Lights“). Da wird es dann auch sofort gut.
Ansonsten bleibt festzustellen: Es überrascht nicht, dass diese Musik aufs Handgemachte setzt und jegliches elektronisches Mittel einer Entweihung gleichkäme. Das eingestreute Deutsch in einigen Liedern wie „Walzer für niemand“, manchmal auch in der montan-niedlichen schweizerischen Variante („Spiegelbild“), zeigt auf, was das einfache Englisch oft verstecken kann: das süßliche, bildungsbürgerliche Heischen nach Bedeutung. Im Grunde ist es Spießermusik. Auf dem Weg der Besserung. RENÉ HAMANN