: Neugier und Begeisterung für Michail und Raissa
Nur ihn so einfach mal sehen, das war das Motiv für Zigtausende, die in Bratislava und Prag dieser Tage auf die Straße gingen. Und die meisten nahmen keinen Anstoß daran, daß sie nur einen Blick auf die schwarzen Staatskarossen werfen oder im Gedränge gerade einmal den Hut des Kreml–Herrn und seiner Frau Raissa sehen konnten. Die Glücklichen, die näher standen, wurden nicht gerade sanft von den sowjetischen Bodyguards angefaßt, die Michail und Raissa umringten. Aus allen Altersgruppen waren sie gekommen. Viele Jugendliche, die mit ihrer westlichen Kleidung nichts mehr mit dem „Staatsjugendlichen“ gemeinsam haben, standen zusammen mit alten Leuten. „Jeder spürt, daß etwas passiert, und will dabei sein“, erklärt uns ein junger Student. Doch niemand der Umstehenden fällt in die Druschba(Freundschaft)–Rufe der Komsomolzen ein. Aber trotz ihres sichtlichen Unbehagens bleiben sie stehen und warten weiter. Warten, bis die Wagenkolonne kommt. Auch Gorbatschow sind solche organisierten Willkommensrufe nicht angenehm. Bei dem Besuch auf der Landwirtschaftskooperative „Der Sowjetisch–tschechoslowakischen Freundschaft“ in der Nähe der slowakischen Hauptstadt am Sonnabend bringen die sowjetischen Sicherheitsleute solche Rufe unwirsch zur Ruhe. Das dieses autoritäre Vorgehen bei vielen Kooperativarbeitern nicht gerade Freude auslöst, ist verständlich. Trotzdem entspannt sich die Situation sofort. Der Charme des Generalsekretärs springt auf die Leute über. Auch wenn Gorbatschow von Gustav Husak, dem alten Mann der KPC, begleitet wird, ist der Beifall echt. „Er ist ja nicht besonders beliebt“, sagt ein Ingenieur, der sich an die 68er Zeit noch gut erinnern kann. „Damals gab es eine wirkliche Hoffnung für eine Änderung, doch vielleicht ist bald wieder etwas los. Wißt ihr, 1918 gab es eine Revolution, 1948, 1968, warum nicht 1988?“ Doch so weit ist es nicht. Daß es dazu kommt, glauben auch nur die Wenigsten. flobo
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