LESERINNENBRIEFE
: Neues Betätigungsfeld: Der Kampf umdie wa(h)re Schönheit

■ betr.: "Ist der Westmann weiblicher?", "Wann endlich folgt das Coming-Out", taz vom 19.9.90 u.a.

Betr.: »Ist der Westmann weiblicher?«, »Wann endlich folgt das Coming-out?«, taz vom 19.9.90, »Sind Westfrauen unspontan?«, »Der lange Marsch durch die Unterhosen«, taz vom 20.9.90, »Schnauzer, Wampe, Klemmgefühl«, taz vom 21.9.90

[...] Besser spät als nie, mag man in dieser Woche bei der taz gedacht haben und ließ flugs eine DDR-Journalistin ihre neugewonnenen Erfahrungen mit Westmännern aufschreiben und einen westlichen Kollegen über die Frage sinnieren, ob denn die Ostfrauen »wirklich so scheu« seien?

Und damit sich niemand an 'Bild‘ erinnert fühlt, geht man(n)/frau die Sache — taz-gemäß — mit sozialem und feministischem Touch an und gibt dem Ganzen noch einen Hauch von objekt-wissenschaftlichem Herangehen. Was den westlichen Kollegen aber auch nicht davor bewahrt, in die Nähe des Springer-Vorbildes zu geraten. Doch was soll man/frau auch erwarten, wenn der »aufgeklärte« Westler seine Aha-Erlebnisse im unterentwickelten Osten publizistisch vorführt. Da kann statt Einblick in die Wirklichkeit nur eine Enthüllung der Vorurteile der Schreiber herauskommen.

Und davon gibt es offenbar noch immer die Menge. So bringt ihn sein »sozialpsychologischer« Blick in die Zeitungsannoncen der Vorwendezeit zu der tiefgehenden Interpretation, daß sich »junge Muttis in den Heiratsanzeigen feilbieten«. Der »Westmann« hätte wohl besser die alte DDR kennenlernen sollen, statt sein West-Erklärungsmuster der gänzlich anderen Wirklichkeit überzustülpen. Das »Feilbieten« ist in die DDR ja erst im Zuge des Anschlusses an den gesamtdeutschen (Heirats-)Markt gekommen. Die gewachsene Existenzangst tut ein übriges. In der Vergangenheit waren Versorgungsheiraten hierzulande ja kaum nötig, geschweige denn typisch.

Doch ich bin sicher, auch bei den Vorurteilen wird zusammenwachsen, was zusammengehört. Dr.Steffen Schmidt, Berlin 1136

Betr.: »Wann endlich folgt das Coming-out?«,

taz vom 19.9.90

Hiermit möchte ich Euch mitteilen, daß ich mein Abo mit sofortiger Wirkung aufkündigen werde. [...] Eine Zeitung, die solches (sei es auch nur als Scherz verstanden oder aufzufassen) drucken läßt, hat sich, nach Euren eigenen Maßstäben gemessen, moralisch wie publizistisch ad absurdum geführt. Die taz(!) hat es einem Jemand wie Axel Kintzinger gestattet, seine indiskutable und unzumutbar dumme Subjektivität demonstrativ in Szene zu setzen und essayistisch zu verbrämen. Ich danke es Kintzinger, von der Möglichkeit erfahren zu haben, daß man auch als Noch-DDR-Frau wenigstens potentiell rassisch aufwertbar sein kann, sofern der verwendete Lippenstift den Standard einer »oberbayerischen Dorffriseuse« zu überflügeln hilft.

Auch mag es an der »Ausdrucksleere« und meinem lethargischen Blick liegen, daß ich diesen Artikel nur als ein Stück gedanklicher Perversion erachten kann. Und natürlich muß ich, geht es nach Kintzinger, die Namen Pasolini und de Sade erst nach der Maueröffnung kennen- und verachten gelernt haben, da mich von ihrer Kenntnisnahme bis dato »Normerfüllung«, »Deli-Laden« und »Datscha« abhielten. Über meine Unzulänglichkeit als »selbstbewußtes Subjekt« oder nur als »Wesen« möchte ich an dieser Stelle keine weiteren Auskünfte geben.

In »Zurückhaltung und demütiger Scheu« verabschiede ich mich von Euch. Urte Bock, Berlin 1130

Betr.: »Schnauze, Wampe, Klammgefühl«

von Ute Scheub, taz vom 21.9.90

[...] Es wäre besser, zwei Seiten weniger im Berlinteil zu haben, als solch niveauloses Geschreibsel. Peter Wiese, Berlin 20

[...] Die Artikel füllen eine ganze Seite, sind jedoch weder inhaltlich von irgendeiner Relevanz noch witzig geschrieben, sondern schlichtweg dümmlich.

Der Artikel »Wann endlich folgt das Coming-out« stellt in seinem grenzenlosen Sexismus alle anderen in den Schatten. Ich glaube zwar, daß das »geballte Auftreten von Klischees« das journalistische Niveau des Autors widerspiegelt, aber nicht, daß so ein therapeutischer Prozeß ausgelöst werden kann (dem Mann ist nicht zu helfen).

Dieses halbseitige Machwerk ist ein Schlag ins Gesicht aller Frauen. Sie werden auf ihren Körper reduziert, und ihre Funktion ist die eines Sexobjektes. Die Leserin lernt: Das Tragen eines Minirocks läßt tiefgehende Schlüsse auf die Persönlichkeit/das Selbstbewußtsein/ die sexuelle Aktivität einer Frau zu. Sämtliche DDR- Frauen sind lethargisch, scheu und brav — und warten sicher nur auf einen Westmann, der ihnen hilft, sich zu entwickeln.

Pornographie ist für Axel Kintzinger gleichbedeutend mit Freiheit. Damit stellt er die entwürdigende und Frauen einen natürlichen Masochismus unterstellende Gewaltverherrlichung eines Almodovar oder de Sade als gut und notwendig hin. Die taz hat ein Plädoyer für die (sexuelle) Ausbeutung der Frau abgedruckt. Katja Scheel, Berlin 44

Die taz hat ein neues Betätigungsfeld gefunden: der Kampf um die wa(h)re Schönheit.

Was, wie bei der »Westfrau« Ute Scheub (unter anderem) als locker flockige Kulturkritik daherkommt, ist unverschämte Diskriminierung einer Bevölkerungsgruppe: den Bartträgern und so weiter. Körpermerkmalen werden Charaktereigenschaften zugeschrieben — das ist in der Form rassistisch, gleich ob es nun die Form der Nase oder der Bart ist.

Für dummes, geschichtsloses Nachäffen gerade aktueller Modeströmungen — die nächste Bartmode kommt bestimmt — sollte in der taz kein Platz sein. Frau Scheub sei es unbelassen, den vorherrschenden, gesichtslosen, glatten Einheitstypen gut zu finden; es sollte ihr zu denken geben, daß sie damit voll im herrschenden Modetrend liegt und daß sie damit eine weitere arrogante Stimme im Chor derer ist, die den unzivilisierten Ostlern den richtigen »Way of life« verschreiben wollen.

Unsere Eltern hatten wir seinerzeit so weit, daß sie sich derart billige Hetze gegen Bart und Haare nicht mehr erlaubten. Für Vielfalt, gegen Einfalt. Ein anonymer (westlicher) Bartträger