: Neu in der Schauburg: „Wild at Heart“ von David Lynch
■ The modern Touch of Evil
Die Reste eines Schädels fliegen durch die Luft, eine Hexe reitet auf ihrem Besen, Sailor und Lula tanzen wie Besessene am Straßenrand in der menschenleeren amerikanischen Ebene zu kreischender Rockmusik, bei den Liebesszenen im schäbigen Motel modert Kotze auf dem Teppichboden und jedes angezündete Streichholz explodiert auf der Leinwand in surrealer Lautstärke und Intensität.
So oder so: David Lynch trifft die Nerven seiner Zuschauer. Die einen wendeten sich angewidert von diesem „spekulativen Machwerk“ ab und buhten lautstark bei der Verleihung der Goldenen Palme in Cannes oder der Vorführung auf dem Festival in Locarno; die anderen lassen sich auf Lynchs Obsessionen ein und genießen sein geniales Durcheinander aus Komödie, Märchen, Roadmovie, Krimi, Erotik, Kunst und Ekel.
Nichts ist hier eindeutig. David Lynch ist nicht an Sinn und Bedeutungen interessiert, sondern zeigt seine dunklen, absurden Visionen aus den Vorstädten Amerikas. Da ist auch das ganz Böse immer ein wenig trivial, und diesen Widerspruch nutzt Lynch virtous. Das Banale bekommt bei ihm eine irritierende Intensität, und zugleich ist da auch dieser böse Spott — Lynch kriecht hinein und kuckt zugleich darauf hinab.
Der obercoole Sailor macht sich mit seinem stolz herausposaunten Satz, seine Krokodillederjacke sei „ein Symbol meiner Freiheit und Persönlichkeit“, durch und durch lächerlich, aber Nicolas Cage sagt es so souverän und ernsthaft, daß er uns auch damit fasziniert. Harry Dean Stanton fängt bei einer kitschigen Liebesszene tatsächlich an zu weine, und für das Happy End schwebt eine gute Fee im Himmel, die aussieht wie Miss Amerika im Nachthemd.
David Lynch treibt alles bis zum Äußersten: die Bösen sehen aus und ziehen Grimassen wie Comic-Fieslinge, auf ihrer Reise treffen Sailor und Lula nur exotische Freaks und Psychopathen. Die Mutter ist eine Hexe, der Chefkiller erledigt seine Geschäfte am Telefon auf dem Klo, wobei ihn ein barbusiges Mädchen bedient, und Sailors alte Freundin Isabella Rossellini plant mit süffisantem Lächeln seine Hinrichtung.
Die schrillen bedrohlichen Farben, eine effektvolle Musik, die ironisch knapp am Klischee vorbeiklingt, und zuckende, assoziative Schnitte — all das kommt zusammen zu einem der aufregendsten Kinoerlebnisse der letzten Zeit. Lynch nimmt keine Rücksicht auf sein Publikum, aber nette Filme gibt es schon mehr als genug.
„Wild at Heart“ läuft im Tivoli auf kleiner Leinwand in der laschen deutschen Fassung, und gleichzeitig in der Schauburg auf glorreicher Breitwand im lauten Original mit Untertiteln: Wenn schon, denn schon!
Wilfried Hippen
Schauburg, Großes Haus, 16.30, 18.30, 21 und 23 Uhr.
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