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Nadine Conti ProvinzhauptstadtDie schönste Form des alten weißen Mannes

Gestern musste ich aus dienstlichen Gründen den neuen Bildungs-Podcast unserer Kultusministerin anhören. Bei der Gelegenheit habe ich gelernt, wie viel Hoffnung der Bildungssoziologe Aladin El-Mafaalani in die Babyboomer setzt. Wenn sich nur ein Bruchteil dieser frisch Verrenteten, aber immer noch Top-Fitten, als Wahlgroßeltern an den Grundschulen verdingen würden, könnte das unser Bildungssystem retten, glaubt er. Besonders gefragt seien dabei die Männer, Frauen engagierten sich ja ohnehin schon viel mehr.

Ich muss sofort daran denken, wie meine Söhne im Kita- und Grundschulalter reagierten, sobald sich da ein männliches Wesen blicken ließ: Sie klebten ihm an den Beinen wie kleine Äffchen und damit waren sie nicht die einzigen. Das passiert wohl, wenn Papa immer entweder arbeitet oder müde ist.

Der beste war Hans, der im Ganztag arbeitete (das war in NRW, wo es den schon länger gibt als im vergleichsweise rückständigen Niedersachsen). Hans hätte auch eine AG in Popo-Wackeln anbieten können und sie hätten die gebucht. Der Alt-Hippie machte aber lieber so verrückte Sachen wie eine Politik-AG.

Mit ähnlicher Affenliebe hingen sie an ihrem leider zu früh verstorbenen Opa, der mit ihnen werkelte, gärtnerte und kochte. Überhaupt ist der Opa ja die schönste Form des weißen, alten Mannes. Wobei man das „weiß“ da auch streichen kann, wenn ich mir die türkischen und arabischen Opas in meinem Viertel so angucke. Man bräuchte jedenfalls wirklich mehr von dieser Sorte.

Foto: privat

Nadine Conti ist Nieder­sachsen­korres­pondentin in Hannover – und darüber viel glücklicher, als sie es für möglich gehalten hätte.

Und am Ende profitieren davon ja auch die Herren selbst, nicht wahr? Wenn sie erst einmal (wenn auch in manchen Fällen reichlich spät im Leben) entdecken, wie viel Glück und Sinn man darin finden kann, tatsächlich gebraucht zu werden. Gibt es nicht immer mehr Studien, die belegen, dass gelingende soziale Beziehungen ein entscheidender Faktor sind, wenn es um Langlebigkeit und Lebenszufriedenheit geht? Ist es denn wirklich schlau, das immer nur den Frauen zu überlassen?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr scheint sich mir hier eine Lösung für alle möglichen Probleme zu verbergen. Die ganz Jungen und die Alten könnten sich gegenseitig die toxische Männlichkeit abgewöhnen. Damit wäre doch praktisch allen geholfen, das hilft gegen Verkehrsrowdys und Blockwarte, gegen Einsamkeit und bröselnden gesellschaftlichen Zusammenhalt, mindert vermutlich sogar das Gesamtaufkommen an schlecht gelaunten Facebook-Kommentaren und anderen Übeln. Vielleicht könnte man damit am Ende sogar dem Rechtspopulismus das Wasser abgraben!

Gut, da sind die Zielgruppen jetzt vielleicht nicht ganz deckungsgleich. Man müsste ja schon auch aufpassen, dass man nicht aus Versehen AfD-Kader und ähnliches Gesocks an die Grundschulen verklappt. Es müsste eine Sozialverträglichkeitsprüfung geben oder so eine Art Führungszeugnis von den eigenen Kindern oder der Oma, was weiß ich.

Okay, so ganz durchdacht ist das alles nicht. Vielleicht habe ich gestern Abend auch einfach zu lange beschwipst in der Frühlingssonne gesessen und (wie jedes Jahr) verzückt gestaunt, wie diese Stadt so vor sich hin explodiert, wenn plötzlich alle aus ihren Winterhöhlen gekrochen kommen.

Die ganz Jungen und die Alten könnten sich gegenseitig die toxische Männlichkeit abgewöhnen. Damit wäre doch praktisch allen geholfen

Vielleicht ist die Sehnsucht nach Hoffnungsschimmern gerade übermächtig angesichts der Weltnachrichtenlage. Aber bitte, irgendwo da draußen muss sie doch sein, diese Hoffnung. Und so schlimm kann das doch alles nicht sein, wenn einen selbst in Hannover wildfremde Menschen in der Fußgängerzone anlächeln.

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