Nachrichten aus dem falschen Leben : Dummheit und Milde
Die KI ist in aller Munde, vor allem aber nervt sie unseren Autor. Er versucht, ihr mit einem rätselhaften Satz habhaft zu werden.

taz FUTURZWEI | „Dummheit und Milde trennt nur eine sehr feine Grenze“, sagte mir einmal der große Schriftsteller Eckhard Henscheid: „Ich würde dieser Grenze nicht trauen.“ Mit einem Bleistiftstummel kritzelte ich diesen Satz auf einen kleinen Zettel, um ihn mir zu gegebener Zeit wieder vor Augen zu halten.
Vor einem Monat steuerte ich einen modernen Mietwagen von La Rochelle nach Bordeaux. Ich fühlte mich angenehm französisch. Es war früher Morgen, meine Beifahrer suchten Schlaf.
Woran leider nicht zu denken war, weil das Auto sicherheitshalber permanent piepste. Immer dann, wenn ich nur eine Hand am Lenkrad hatte oder beide Hände an der falschen Stelle. Oder wenn ich nach Meinung des modernen Citroën in einem endlosen Baustellenbereich nur 30 km/h fahren sollte, wo ausweislich der Beschilderung eindeutig 60 km/h erlaubt waren, auf deren Ausreizung der Fahrer des unmittelbar an meinem Kofferraum klebenden Sattelschleppers offensichtlich pochte.
Als ich einem toten Fuchs ausweichen wollte, korrigierte der Wagen meinen Kurs und steuerte mich mitten hinein in den Kadaver. Der Lkw-Fahrer hupte. Es war „La Cucaracha“ als fröhliche Fanfare.
An diesem Tag hätte mich die künstliche Intelligenz, das miese Stück, sicherheitshalber beinahe umgebracht.
Vergangene Woche bekam ich eine geharnischte Mail von meinem Arbeitgeber. Die Assistentin der Chefredaktion verlangte zu wissen, warum ich auf die letzte Mail noch nicht reagiert hätte. Ich fand sie bald im Papierkorb, wohin ich sie nach Lektüre des Anfangs („Liebe Kollegin, lieber Kollege, KI ist derzeit in aller Munde …“) befördert hatte, weil dieser Satz eindeutig von einer KI geschrieben worden war.
Im Anhang der Mail fand ich nun den Vertrag, auf dessen Unterschrift die Assistentin der Chefredaktion pochte, als wäre sie ein französischer Fernfahrer. Ich sollte an Eides statt versichern, mich beim Schreiben meiner Texte in der Vergangenheit noch nie einer KI bedient zu haben, diese Technologie in der Gegenwart links liegen zu lassen und auch in Zukunft unbedingt zu schmähen.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°34: Zahlen des Grauens
Die weltweiten Ausgaben für Rüstung betragen 2700 Milliarden Dollar im Jahr, ein 270stel davon wird weltweit gegen Hunger investiert. Wir präsentieren Zahlen des Grauens und plädieren gerade deshalb für Orientierung an Fakten statt an Talkshow-Aufregern.
Mit: Matthias Brandt, Dana Giesecke, Maja Göpel, Wolf Lotter, Armin Nassehi, Sönke Neitzel, Katja Salamo und Harald Welzer.
An diesem Tag ging mir die künstliche Intelligenz, die Idiotin, einigermaßen auf die Nerven.
Gestern erzählte eine Kollegin in kleinerer Runde, sie habe kürzlich eine „wirklich beschissene Nacht gehabt“. Meine besorgte Frage, was ihr denn so bleischwer auf dem Herzen gelegen habe, wischte sie sanft beiseite: „Darum geht es nicht. Es geht darum, dass ich das Handy rausgeholt und ChatGPT um Rat gefragt habe“, ganz leise, nur schriftlich, um den neben ihr schnarchenden Mann nicht zu wecken.
Zwar habe sie zunächst alles löschen müssen, was die künstliche Intelligenz über sie bereits an Informationen gesammelt hatte: „Aber dann war es ganz wunderbar. Ich wurde selten so sanft, einfühlsam und hilfreich behandelt. ChatGPT hat irgendwie die richtigen Fragen gestellt, im richtigen Ton, ohne mich für meine Gedanken zu verurteilen oder so … und bald ging’s mir wieder besser.“ Am Ende habe die KI noch darauf bestanden, ihr eine Geschichte über eine Frau in ähnlicher Lage vorzulesen: „Verrückt, oder?“
Worauf ein Kollege, dessen Intelligenz und Urteil ich sehr schätze, abfällig mit der Zunge schnalzte: „Willkommen in der Dystopie!“ Eine Einschätzung, der ich als Digitalskeptiker normalerweise ohne Zögern zugestimmt hätte. Zu meiner eigenen Überraschung aber hegte ich diesmal einen gegenteiligen Gedanken: „So what? Whatever get’s you through the night!“
Ein menschlicher Ansprechpartner am Sorgentelefon, führte ich weiter aus, rede schließlich auch nicht frei, sondern blättere je nach Problem der Anruferin zur entsprechenden Seite in seinem Sorgentelefonhandbuch. An diesem Tag empfand ich für die künstliche Intelligenz erstmals eine gewisse Milde.
Ein Gefühl, das mir aus diffusen Gründen verdächtig vorkam. Da erinnerte ich mich wieder des kleinen Zettels. Seitdem frage ich mich, was genau Eckhard mit diesem rätselhaften Satz gemeint, warum genau ich ihn mir aufgeschrieben haben könnte. Vergeblich.
Ich werde wohl eine künstliche Intelligenz um Rat fragen müssen.
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