NOTIZBUCH-UPDATE NACH KNAUSGÅRD, ALTE FREUNDE TREFFEN BEI EINEM 40. GEBURTSTAG UND EIN MUSIKTIPP DER KOLLEGIN S. : Folter für Praktikantinnen
DETLEF KUHLBRODT
Es war wohl Freitag; die Woche war nicht ganz so der Hit gewesen, aber auch nicht so bescheuert wie die Wochen zuvor. Ich hatte ein bisschen aufgeräumt, versucht, die Produktionsbedingungen zu verbessern, den Schreibtisch verschoben, den Schreibtischstuhl durch einen Holzstuhl ersetzt, an dem es sich nun besser saß, und nach langem Überlegen, und weil alles erledigt und das Wetter so schön war, hatte ich mir das neue Schreibprogramm der Firma Circus Ponie gekauft.
Eigentlich war es nur das kostenpflichtige Update eines Notizbuchprogramms, das ich seit sieben Jahren benutze, ohne sagen zu können, ob es mir bislang genutzt hat. Es sieht aber gut aus. Ich schreibe, irgendetwas irritiert mich, die Zeilenlängen kommen mir falsch vor, ich nehme das Buch „Spielen“ von Knausgård aus dem Bücherregal, zähle die Zeichen der einzelnen Zeilen, stelle den Tabulator genauso ein. Nun kommen mir die Zeilen aber zu kurz vor. Ich lass es aber so, und das Wochenende kann beginnen; dass die E-Taste plötzlich eine Macke hat, ist ärgerlich, soll aber hier nicht weiter thematisiert werden.
Am Abend hat B. Geburtstag. Sie wird 40. Zum Glück fällt mir ein Geschenk ein (der polnische Film „Das Mädchen aus dem Wandschrank“ von Bodo Kox), mit dem ich dann in den Prenzlauer Berg fahre. Wir sitzen am Tisch, wie wir so oft in den letzten elf Jahren am Tisch gesessen hatten. Die alte Clique sozusagen; wir kennen uns schon lange, aber sehen uns nicht mehr so oft wie früher, als das Ostgut noch jung war. Ein paar Jahre waren wir auf Technopartys gegangen, später dann nicht mehr so.
Wir begrüßen einander unterschiedlich; Z. darf mich zum Beispiel nur auf die Wange küssen, weil er einen Bart hat, einigen gibt man die Hand, andere küsst man auf die Wange, ein, zwei Leuten auch auf den Mund. Es gibt Kürbissuppe und vegetarisches Curry; zum Rauchen und Reden geht es auf den Balkon; also die, die noch rauchen. Einige rauchen und trinken nur am Wochenende und schauen mich besorgt an, als ich sage, dass ich am Wochenende eher weniger als in der Woche rauche. Dass ich mich am Wochenende tatsächlich zu erholen versuche und jeden Tag zwei Bier trinke, und ich sage: „Was guckst du? Wir kennen uns doch schon zwölf Jahre oder so.“
Außerdem: „Lies mal Knausgård – der ist gut!“ Z. und S. kommen gerade von dem Konzert von Avi Buffalo, den S. die Woche zuvor schon in London gesehen hatte. Sie sagt, sie sei schon leicht betrunken, vermutlich, weil man es ihr nicht anmerkt, und erzählt, wie toll das Konzert gewesen wäre. Eine Weile reden wir noch über das „Pornfilmfest“, auf dem keiner von uns war; S. erzählt von einem Redakteur, der immer junge Praktikantinnen auf die schlecht besuchten Pressevorführungen des Pornfilmfestes geschickt hatte.
Später reden wir darüber, wie sozusagen emanzipatorische Inhalte an Attraktivität verlieren, sobald sie institutionalisiert sind, und ich echauffiere mich über Kreismeisterschaften im Open-Mike, über diese paternalistische, alle erniedrigende Wettkampfkultur.
Ich rauche eine letzte Zigarette, im Hintergrund singen theateraffine Freundinnen laut, als wären sie noch immer so drauf wie vor zehn Jahren: „In einen Harung, jung und schlank, zwo, drei, vier hm-tata, tirallala/ verliebte sich, oh Wunder, ’ne olle Flunder, ’ne olle Flunder …“
Sie amüsieren sich prächtig, ich denke „o weh!“, und am nächsten Vormittag, während ich frühstücksergänzend im Molinari sitze und alle Zeitungen durchlese, schickt S. eine SMS, in der sie sich nach „Knausbart“ erkundigt. Der Rest des Wochenendes war auch schön. Zum Beispiel „Tatort“.