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Archiv-Artikel

NICHT MAL BEIM ARZT IST MAN VOR LEUTEN SICHER, DIE EINEN UM DIGITALE BEWERTUNGEN ANHAUEN. DABEI IST DAS GANZE SYSTEM KAPUTT 85 Prozent aller Leser würden diesen Text empfehlen

MEIKE LAAFF

Haben Sie mich eigentlich schon im Internet bewertet?“, fragt mich meine Ärztin, nachdem sie mir ihre 7,5 Minuten Aufmerksamkeit zugewendet hatte, die ein deutscher Patient im Durchschnitt von seinem Mediziner bekommt.

Nö, hab ich nicht. Das Kärtchen mit einer Auswahl von fünf möglichen Bewertungsportalen, das mir die Sprechstundenhilfe beim letzten Mal überreicht hat, habe ich umgehend schön ordentlich in den Mülleimer weggeräumt. Restaurants mit miesem Essen, Hotels mit Kakerlaken, Amazon-Waren, die auf der Produktbeschreibung viel opulenter wirkten – mögen sie alle pleitegehen, wenn ihr Service Mist ist, aber mein Leben ist zu kurz, um darüber zu mosern. Ich bin Expertin darin, zu ignorieren, wenn irgendeine Plattform mich psychologisch subtil dazu zu bringen sucht, im Gegenzug für irgendwelchem Prämiennippes positive Bewertungen für sie zu schreiben oder gar meine Freunde mit Empfehlungen zu belästigen. Warum also sollte ich auf diese Werbeblock mitten im Behandlungszimmer reagieren!

Hab ich der Ärztin natürlich so nicht gesagt. Sondern nur nein. Aber die ließ nicht locker: Es sei so fies, wenn Leute sich immer nur online beschweren, statt es einem einfach ins Gesicht zu sagen. Damit ja auch den Ruf der Praxis ruinieren, yada yada yada. Ich versuchte zu trösten: Wut muss eben einfach raus, in den fiesen Kommentar. Wer sich freut, der schreibt nicht.

Wie verschnarcht von mir: Interessant wäre es doch geworden, wenn ich es einfach mal so versucht hätte: Sie wollen schön authentische Gratiswerbung von mir? Dann machen Sie mir mal ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann: Den Pharma-Kuli da in Ihrer Kitteltasche, brauchen Sie den noch? Oder gibt’s bei der siebten Lobeshymne im siebten Portal eine Igel-Leistung gratis? Unverschämtheit? Selber!

Eingeforderte Liebe im Netz kostet halt. Facebook-Jünger, Twitter-Volk und Webseiten-Aufrufe: Crowdturfing ist längst ein riesiger Markt: Laut einer Studie der Utah State University soll ein Nutzer binnen zwei Jahren mit 600.000 Jubelperser-Miniaufträgen über 3 Millionen Dollar verdient haben.

Andersrum ist es neuerdings richtig teuer, online jemandem zu dissen: Ein Mann wehrt sich aktuell gegen eine Schadenersatzforderung von 70.000 Euro, nur weil er den Verkäufer eines 21,55-Euro-Fliegengitters bei Amazon negativ bewertete. Und eine französische Bloggerin muss 1.500 Euro zahlen, weil sie in einem Eintrag schlecht über ein Restaurant schrieb.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Montag

Anja Maier

Zumutung

Dienstag

Deniz Yücel

Besser

Mittwoch

Martin Reichert

Erwachsen

Donnerstag

Ambros Waibel

Blicke

Freitag

Michael Brake

Nullen und Einsen

Spätestens seit raus ist, dass auch der britische Geheimdienst Werkzeuge hat, um den Ruf potenzieller Staatsfeinde in Foren und sozialen Netzwerken zu frisieren und Google angeblich gar nicht so genau hinschaut, warum jemand bestimmte Hits aus Trefferlisten schmeißen möchte, schnitzt jetzt also jeder sich selbst oder anderen das digitale Image, das er möchte. Womit Onlinebewertungen am Ende so aussagekräftig werden wie der Hinweis, dass 85 Prozent aller Kunden dieses Shampoo ihrer besten Freundin empfehlen würden.

Das hätte ich der Ärztin mal sagen sollen.