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Archiv-Artikel

NATALIE TENBERG ÜBER HABSELIGKEITEN MEIN VATER KOMMT ZU BESUCH. UND ICH WÜNSCHE MIR, DASS ES BITTERKALT WIRD. WEGEN SEINER SCHLIMMEN RENTNERWESTE Der Horror in Beige

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

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Das Tuch

Mein Vater rief an. „Ich dachte, ich komme mal wieder nach Berlin“, sagte er und ich antwortete, das sei eine prima Idee. Ich freue mich immer, wenn er da ist. Wir gehen spazieren, ins Café, die Kinder sind glücklich und zu unserem Ritual gehört der Besuch im türkischen Grillrestaurant. Es gibt zu diesen Gelegenheiten nur einen Wehmutstropfen und deswegen versuchte ich, gleich nachdem ich wir aufgelegt hatten, herauszufinden, wie das Wetter in der nächsten Woche würde. Kalt, hoffte ich. Winterjackenkalt.

In Tegel nämlich landet mein Vater noch flugschick, ein Mann jenseits der 70 mit Sakko und dunkler Hose, Rollkoffer und lederner Tasche. Dann aber schlüpft er schnell in etwas Bequemeres, und zwar in eine Freizeithose, und sobald wir rausmöchten, streift er sich bei milder Witterung eine beigefarbene Rentnerweste über. Ein Kleidungsstück, das vor allem aus Taschen, Reißverschlüssen und Druckknöpfen besteht und dessen Farbe alten Augen besser gefallen muss als jungen.

„Wieso? Ist doch praktisch“, sagt er immer, wenn ich seufze: „Ach nee, Papa, nicht die wieder.“ Hässlich finde ich sie, sage ich. Praktisch sei sie, verteidigt er sich, in die vielen aufgenähten und integrierten Fächer passe alles rein. Zu warm würde einem darin nicht und zu kalt eben auch nicht. Wenn wir dann an den touristenreichen Orten Berlins auf Busladungen voller Menschen treffen, die ebenso eine Weste tragen, freut sich mein Vater. Denn das beweist nur: Meine Abneigung gegen sein Oberteil ist die Meinung einer Minderheit. Tausende von Senioren können nicht irren. Die Kutte aus Jeans oder Leder mag, wie Kollege Frank vor ein paar Tagen hier erläuterte, aussterben. Die Rentnerweste aber lebt.

Man könnte vermuten, es läge daran, dass die Generation meines Vaters als Kinder zum Teil ausgebombt wurde und deswegen gerne ihre Besitztümer am Leib trägt. Viel eher jedoch ist die Digitalkamera schuld. Alte Männer, die ja ständig ihre Enkel fotografieren müssen, wissen in den paar Minuten am Tag, in denen das Ding nicht in Gebrauch ist, einfach nicht, wohin damit, wenn sie nicht mindestens drei verschiedene Brusttaschen zur Auswahl haben. Hinzu kommen Medikamente für allerlei Zipperlein, die untergebracht werden müssen, das Handy, ein Portemonnaie, das wegen der immer neuen Kundenkarten ständig dicker wird. Die Detlefschleuder, eine schmale, schwarze Herrenhandtasche, gilt als passé, wohin also mit dem ganzen Krempel?

„Das letzte Hemd hat keine Taschen“, ziehe ich meinen Vater auf. „Willst du das vorsorglich kompensieren?“ Er fragt nur, ob meine klobigen Fellstiefel nicht dick machen. Oder diese Leggings, die ich in letzter Zeit immer zum Jeansrock trage. „Ich finde es schick“, sage ich, weiß aber genau, dass es Zeiten gab, in denen ich nicht so aus dem Haus gegangen wäre. Mit Ballerinas schon gar nicht. Oder grau-fliederfarbenem Nagellack.

Kalt wird es nächste Woche, meint die Wettervorhersage. „Pack besser eine warme Jacke ein“, warne ich meinen Vater. „Kein Problem“, antwortet er. „Ich habe gerade eine neue Weste gekauft. Und die ist wattiert.“