NANA HECK ALLEINLAGE : Nur die Harten kommen in den Garten
Weideglück oder Tod – würde ich jedem Problemschaf eine zweite Chance geben, hätte ich bald statt eines landwirtschaftlichen Betriebs einen Gnadenhof
Am Wochenende hatten wir Besuch aus der Großstadt. Das Wetter bietet zwar noch nicht die optimale Kulisse fürs perfekte Landidyll, doch die vielen neugeborenen Lämmer machen schon was her. „Sind die süüüß!“, hörten wir erwartungsgemäß von unseren Besuchern. Weder Schneeregen noch die Matschepampe hielten die Städter davon ab, alles auf dem Hof anzuschauen, viele Fragen zu stellen und zu staunen. Besonders unsere Flaschenlämmer, von uns wegen des hohen Pflegeaufwandes mit dem Saugeimer nicht immer nur geliebt, waren ihre Favoriten.
Auch die Schafherde wurde interessiert beäugt. „Warum haben denn manche von den Mutterschafen einen roten Punkt auf dem Rücken?“, fragten die Besucher. Die Antwort löste Betroffenheit aus. Der rote Punkt ist sozusagen unser Malus-Symbol für jene Schafe, die nach Erfüllung ihrer Mutterpflicht am Ende des Sommers sterben müssen.
Gründe für die Markierung sind entweder das Alter oder Schwächen, die sich vererben würden, bliebe das Schaf als Zuchttier erhalten. Hier wird die sonst so gelobte Natur imitiert: Nur die Harten kommen in den Garten. Durch diese Selektion arbeiten wir an einer gesunden und leistungsfähigen Herde.
Und Arbeit macht das jede Menge. Im Morgengrau torkele ich dieser Tage noch im Nachthemd auf den Balkon, um mit dem Fernglas die Herde zu überblicken. So sehe ich sofort, wenn ein Schaf gelammt hat oder über Nacht irgendwelche Probleme aufgetreten sind. Auch die roten Punkte habe ich dann alle im Blick.
Es ist schwer, zu entscheiden, ob ein Tier seinen letzten Sommer erleben soll oder ob es noch eine Chance bekommt. Hatte beispielsweise ein Schaf eine schwere Geburt, die nur mit unserer Hilfe gelang, bin ich eher nachsichtig. Bei den guten Schafen, die ja leider auch mal alt werden, fällt es mir schwer, den roten Punkt aufs Fell zu sprühen.
Während der Bauer schnell und konsequent markiert, neige ich eher zur zweiten Chance. Pures Sentiment! Würde ich dem immer nachgeben, hätte ich keinen landwirtschaftlichen Betrieb, sondern einen Gnadenhof.
Neben den roten Punkten gibt es übrigens auch blaue für jene Tiere, deren Lämmer besonders zur Zucht geeignet scheinen. Das genaue Gegenteil also. Als letztes Jahr die Zeit des Aussortierens der markierten Tiere kam, wunderten wir uns, dass es doch nur vergleichsweise wenige „Rote“ gab. Zufällig entdeckten wir, dass einige der blau Markierten auch rötlich schimmerten. Unsere Jüngste hatte heimlich rote Punkte blau überlackiert. Aus humanitären Gründen.
■ Die Autorin ist Biobäuerin in Mecklenburg Foto: privat